BAmberger Thema

Jobcenter als „Seelenvernichtungsmaschine“? 27.09.2011
Aktuelles, BA-Thema, Soziales, Presse-Mitteilung
Bei der zweiten GAL-Diskussion „Armut in Bamberg“ wurde die oft rechtswidrige Praxis des Bamberger Jobcenters beklagt

Pressemitteilung

Das Jobcenter Bamberg – die Behörde, die früher als Arbeitsamt firmierte – geriet rasch ins Kreuzfeuer der Kritik bei diesem Diskussionsabend. Die Grün-Alternative Liste GAL hatte zur Debatte mit dem sozialpolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Markus Kurth, eingeladen – der zweite Teil der Diskussionsreihe „Armut in Bamberg – Was tun?“, moderiert von GAL-Stadträtin Ursula Sowa.
Mehrere BesucherInnen meldeten sich zu Wort und klagten über „schikanöse“ und „menschenunwürdige“ Behandlung beim Jobcenter, wo sie oder ihre Bekannten Hartz IV beantragen müssten. Eine Frau nannte die Behörde gar „Seelenvernichtungsmaschine“.

Nicht viel besser waren die Erfahrungen der drei Mitdiskutierenden auf dem Podium: Christof Flatken, Fachanwalt für Sozialrecht, hat täglich mit Widersprüchen gegen Bescheide des Jobcenters zu tun, und nach seinen Worten hat mehr als die Hälfte davon Erfolg. „Das bedeutet: In so vielen Fällen liefert das Jobcenter falsche Berechnungen.“ Er wusste außerdem davon zu berichten, dass Zahlungen an Hartz-IV-EmpfängerInnen einfach eingestellt werden, ohne dass es vorher einen Bescheid gibt, oder von groben Sanktionsandrohungen, mit denen in unangemessener Weise auf nur kleine Versäumnissen reagiert wird.
Dies bestätigte Petra Zehe, die allerdings auch betonte, dass die einzelnen MitarbeiterInnen im Jobcenter überlastet, nicht ausreichend geschult und von Dienstanweisungen zu ungunsten der KlientInnen eingeengt wären. Das System „Hartz IV“ mache viele Menschen heute „bitter arm“, meinte die Sozialpädagogin und Mitarbeiterin beim ökumenischen Arbeitslosentreff DIE IDEE. Zum Beispiel reichten die 100 Euro für den Bedarf eines Schulkindes pro Jahr einfach nicht aus, auch für Sonderausgaben wie eine kaputte Waschmaschine gäbe es kein extra Geld, das müsste man aus dem Regelsatz finanzieren. Der werde aber oft schon für die Miete angeknabbert, weil das Wohngeld diese nicht deckt. Meist müssten sich die Menschen dann Geld leihen, verschuldeten sich immer mehr, könnten keine Miete mehr zahlen, würden obdachlos – eine kaum aufzuhaltende Abwärtsspirale, so Zehe.

Martina Auer, Bereichsleiterin der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) betonte, wie sehr ein Leben unter solcher Existenzgefährdung krank mache und psychische Schäden hinterlasse. Aus ihrer Sicht sind Kinder die Hauptleidtragenden dieser Armut. Beim neuen Bildungs- und Teilhabepaket von Ministerin Ursula von der Leyen sieht sie Probleme vor allem darin, dass die Betroffenen überfordert seien und es meist gleich bleiben ließen, überhaupt Anträge zu stellen. „Das funktioniert nur, wenn sich jemand mit den Betroffenen hinsetzt und die gewaltigen Mengen von Formalkram mit ausfüllt.“ Und das für dann doch sehr geringe Unterstützung.
Sowohl Zehe, als auch Auer und Flatken kritisierten vehement, dass die Betroffenen oft lange auf ihr Geld warten müssten, sowohl bei Sonderanträgen als auch bei Widersprüchen gegen fehlerhafte Leistungsbescheide. Wer keine Rücklagen habe, müsse sich etwas leihen, um überhaupt über die Runden zu kommen – das sei der erste Schritt in die Schuldenfalle.

Für den Grünen-Bundestagsabgeordneten Markus Kurth waren diese Bamberger Berichte „leider nichts Neues und kein Einzelfall“. Er kritisierte, dass die Hartz-IV-Gesetze grundsätzlich nicht den „Geist des Mitgefühls“ in sich trügen, und dass dieser Geist sich auch auf die Alltagspraxis der Jobcenter übertragen habe. „Es wird eher aus einer Haltung des Misstrauens gehandelt, mit dem Generalverdacht, dass sich die Betroffenen einfach nicht genug anstrengen.“ Kurth, der im Jahr 2003 als einer von 16 Abgeordneten den Hartz-Gesetzen nicht zustimmte, fordert derzeit mit einer Gruppe gleich gesinnter Abgeordneter, dass die in großen Teilen rechtswidrige Gesetzeshandhabung durch die Jobcenter abgestellt werden müsse und bis dahin keine Sanktionen gegen Hartz-IV-EmpfängerInnen verhängt werden dürften (www.sanktionsmoratorium.de).

.Angesichts dieser umfassenden Kritik am Bamberger Jobcenter erstaunte es doch sehr, wie viel Gutgläubigkeit Hartz-IV-Betroffene trotz allem immer noch der Behörde entgegenbringen. „Das ist enorm“, kommentierte Petra Zehe, „Menschen, die sich bei mir beraten lassen, hoffen nur, dass ich ihnen irgendwie helfen kann, mit dem wenigen Geld zurechtzukommen. Wenn ich dann herausfinde, dass ihnen eigentlich mehr zusteht, können sie es meist kaum glauben und haben damit überhaupt nicht gerechnet.“ Da blieb die Frage offen: Wie groß mag wohl die Dunkelziffer von Menschen sein, bei denen das überhaupt nie herauskommt, weil sie sich nicht wehren oder keine Hilfe suchen?

Der Abend ergab zahlreiche Handlungsaufträge, die sich die GAL-Stadtratsfraktion zur Bearbeitung vornehmen will – dazu gehört sich nicht zuletzt die Fortsetzung der Veranstaltungsreihe „Armut in Bamberg“.

sys


Foto: Andreas Reuß

Von links auf dem Podium: Petra Zehe, Markus Kurth, Martina Auer, Christof Flatken, Ursula Sowa

Foto: Andreas Reuß

Foto: Andreas Reuß

Foto: Andreas Reuß

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