Bamberger Thema

Die neue Unübersichtlichkeit in Bamberger Stadtrat 19.03.2014
BA-Thema, Aktuelles
GALlaktisch grünes Ergebnis, CSU am Tropf eines Imbissbetreibers, SPD mit kaum "gewolltem" OB, unklare Machtverhältnisse - und eine besorgniserregende Wahlbeteiligung. Gerd Rudel hat die Stadtratswahl analysiert.

Kommentar

Das Ergebnis der Stadtratswahl lässt eine spannende Legislaturperiode erwarten. Klare Mehrheiten gibt es nicht, die Zahl der im Gremium vertretenen Parteien und Gruppierungen ist noch einmal gewachsen. Als Gewinner fühlen dürfen sich nur die GAL und die Freien Wähler – denn nur sie haben gewonnen, an absoluten Stimmen wie an Mandaten.

Die GAL kann mehr als zufrieden sein: Der erneute Zugewinn eines Stadtratssitzes und die trotz geringerer Wahlbeteiligung über 10.000 Stimmen mehr als 2008 sind Ausdruck dessen, dass die GAL die einzige große politische Kraft in Bamberg ist, die immer mehr Zustimmung für ihre Politik erreichen kann. Dafür spricht auch das phänomenale Einzelergebnis, das die beiden Spitzenkandidaten, Ursula Sowa und Peter Gack, erzielen konnten. Bei den Einzelstimmen liegen sie auf Platz 2 und 3 aller Bewerber/innen, noch vor den Spitzenleuten von CSU und SPD und auch vor Alt-OB Herbert Lauer. Dieser wahrlich GALaktische Erfolg ist ein erfreuliches Zeichen, dass die Menschen in Bamberg gute Politik, wenn sie von glaubwürdigen und authentischen Personen vertreten wird, immer noch zu würdigen wissen.

Für CSU und SPD hielt der Wahlabend mehr oder minder große Enttäuschungen bereit: Die CSU ist weiter geschrumpft. Dass sie überhaupt noch auf 12 Mandate kam, hat sie nicht ihren politischen Platzhirschen zu verdanken, sondern dem Bekanntheitsgrad eines Imbissbesitzers und einer Einzelhändlerin – beide politisch völlig unerfahren und ohne inhaltliches Profil. Warum sich eine solche CSU-Fraktion, die zudem nach wie vor eher aus Parteifeinden als aus Kolleg/inn/en besteht, anmaßt, im Stadtrat eine Führungsrolle spielen zu wollen, bleibt unerfindlich. Die absurde Materialschlacht, die die CSU im Wahlkampf geliefert hat, hat sich also nicht ausgezahlt, vielleicht sogar eher als Bumerang erwiesen.

Die SPD hat zwar die Zahl der Mandate halten können, absolut aber rund 22.000 Stimmen verloren. Muss deshalb jetzt OB Starke zurücktreten, mit dem die SPD Dauerwerbung betrieben hat? Schließlich haben die Bamberger/innen nicht in ausreichendem Maße SPD gewählt, also müsste Starke jetzt im Umkehrschluss des SPD-Wahlslogans doch den Stuhl räumen, weil er offenbar „nicht gewollt“ wird. So weit wird es natürlich nicht kommen, doch mit der „starken“ SPD, die voll und ganz auf den OB gesetzt hat, ist auch der Amtsinhaber erheblich angeschlagen worden. Wie die SPD-Fraktion darauf reagieren wird, bleibt abzuwarten – zumal das genuin sozialdemokratische Element in dieser Fraktion mittlerweile mit der Lupe zu suchen ist.

Eine Konsequenz aus der neuen Unübersichtlichkeit im Bamberger Stadtrat und den völlig unklaren Mehrheitsverhältnissen könnte aber auch sein, dass endlich eine Diskussionskultur im Stadtrat entsteht, in der die Kraft von guten Sachargumenten gilt und Politik ohne vorab ausgemauschelte Mehrheiten auskommt. Man darf gespannt sein, ob diese Perspektive eine Chance hat oder ob – wieder einmal – über das Aushandeln von Pöstchen versucht wird, eine Mehrheit zu zimmern, für die es inhaltlich gar keine Grundlage gibt.

Einer Herausforderung wird sich der Bamberger Stadtrat in jedem Falle stellen müssen: das ist die niedrige, noch einmal gesunkene Wahlbeteiligung. Wenn nur noch 44% der Wähler/innen den Gang zur Urne antreten, dann ist das nicht nur besorgniserregend (das waren schon die 48% vor sechs Jahren), sondern alarmierend. Denn diese Wahlmüdigkeit signalisiert einen Vertrauensverlust in die Politik, in das politische System insgesamt, angesichts dessen man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Das genau passierte nämlich vor sechs Jahren. Ohne dies für einen Königsweg oder ein Allheilmittel zu halten, kann dieses fehlende Vertrauen nur dann wenigstens ansatzweise wieder aufgebaut werden, wenn in der bevorstehenden Legislaturperiode daran gearbeitet wird, eine systematische Bürgerbeteiligung aufzubauen. Das heißt: eine Bürgerbeteiligung, die sich nicht auf einige "kosmetische", punktuelle Ansätze beschränkt, sondern kontinuierlich und methodisch angelegt ist. Das wird Hirnschmalz, Arbeit und Geld kosten. Die jetzt neu gewählten Bamberger Rätinnen und Räte sollte dies als eine ihrer wesentlichen Aufgaben begreifen.

Gerd Rudel

 


Gerd Rudel war langjähriger Stadtrat und Fraktionsvorsitzender der GAL


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Andreas Becker schrieb am19.03.2014 15:45 Uhr folgenden Kommentar:
Sorry, als Hin- und Wieder-Kunde bei You Xie muss ich den Kommentar von Gerd Rudel kommentieren.

You Xie als politisch völlig unerfahren zu kennzeichnen, mag vielleicht, vielleicht noch für die Kommunalpolitik stimmen. Aber da kann er ja mal ein Seminar von GRIBS oder der Petra-Kelly-Stiftung besuchen :-).

Ansonsten zitierte ich mal die taz vom 12.11.2007:

"Als im Juni 1989 in Peking die Panzer rollten, solidarisierte sich Xie mit den unterdrückten Studenten, engagierte sich in einem Verein von Auslandschinesen, publizierte kritische Texte in Hongkong und den USA und schrieb Briefe an deutsche Politiker. Seitdem kann Xie nicht mehr zurück nach Hause; er bekomme keine Einreisegenehmigung, sagt er, sei zur Persona non grata geworden. Vielleicht hat er auch einfach nur Angst vor Repressionen, alle Details bekommt man nicht aus ihm heraus.
Xie ist bis heute politisch geblieben, man kann es an seinem Magazin ablesen, das seit acht Jahren monatlich erscheint. In der Juli-Ausgabe dieses Jahres findet sich ein Text, in dem Xie auslotet, was den Journalismus und das Angeln verbindet. "In Deutschland gibt es mehr Vorschriften fürs Angeln als fürs Zeitungmachen", sagt Xie. In China sei das genau umgekehrt. Und dann zitiert Xie eine Journalismus-Weisheit des früheren RTL-Chefs Helmut Thoma: "Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler", sagt er. "In China aber bestimmt die Regierung, was dem Fisch zu schmecken hat."
Für Herbst plant Xie einen Schwerpunkt zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking, Zusammen mit seinen Korrespondenten möchte er analysieren, ob die Spiele gut oder schlecht für China und die Chinesen sind. "Da möchte ich natürlich nicht die offiziellen Propagandalügen verbreiten", sagt Xie. Er fragt: Was ist mit den Menschenrechten? Was wird aus den einfachen Leuten, die für die Spiele umgesiedelt werden? Was ist mit der Korruption?"

Sorry: Mangelndes inhaltliches Profil kann ich da wirklich nicht erkennen.

Vielmehr würde ich sagen: Wer im Wahlkampf auf Tiere gesetzt hat, seien es nun Frösche oder Enten, hatte ein gutes Näschen :-))

Ansonsten freue ich mich mit Gerd Rudel über das tolle GAL-Ergebnis und die Altersmischung der neuen GAL-Fraktion. Leider, leider sind CSU und SPD zusammen nicht unter 23 Sitze gerutscht, sonst hätte die Vision einer Diskussionskultur der besseren Sachargumente im neuen Stadtrat noch eine höhere Chance auf Realisierung.
Gerd Rudel schrieb am19.03.2014 16:05 Uhr folgenden Kommentar:
Andreas, ich dachte tatsächlich, hier gehe es um eine KOMMUNALwahl...
Huzni schrieb am19.03.2014 16:42 Uhr folgenden Kommentar:
Ich muß Andreas Becker schon recht geben: "politisch völlig unerfahren und ohne inhaltliches Profil" war eine zu pauschale Abwertung - vielleicht nicht so gemeint, aber so zu verstehen.

Interessant ist ein anderer Aspekt: Hier hat ein Kandidat, der sich vehement für Menschenrechte einsetzt, auf der CSU-Liste gepunktet. Die Unionspolitik setzt hier keinen Schwerpunkt. Ob Frau Merkel, ob Herr Seehofer und ihre jeweiligen Innenminister: Menschenrechte stehen nicht vorn auf der Agenda. Parallele zur Umweltpolitik: Marcel Huber, der als Landesumweltminister für eine Verkehrswende eintritt und den Donauausbau gestoppt hat, erzielte bei der letzten Landtagswahl das beste Erststimmenergebnis im Wahlkreis.

Daß die Unionsparteien diese Zeichen der Zeit nicht erkennen, ist Teil ihrer selbst verursachten Glaubwürdigkeitskrise (christliche Werte). Es sollte mich nicht wundern, wirft Herr You Xie vor Ende der Legislaturperiode entnervt das Handtuch.

Daß die GAL in Bamberg kontinuierlich Zuwächse bei ihren Wahlergebnissen verzeichnet, ist nachvollziehbar. Denn sie ist tatsächlich die einzige Kraft, welche in dieser Stadt ernsthaft Politik im Sinne des Gemeinwohls betreibt, ohne diese in den Dienst irgendwelcher Lobbys und Interessengruppen zu stellen. Daher: Herzlichen Glückwunsch!
Wolfgang Grader schrieb am21.03.2014 17:27 Uhr folgenden Kommentar:
Ich begrüße Herrn You Xie und Frau Anne Rudel als neue StadtratskollegInnen und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. Ob eine langjährige Parteikarriere inhaltsreichere PolitikerInnen hervorbringt, darüber lässt sich trefflich streiten. Letztlich wird es sich in den kommenden Jahren zeigen, wie viel Engagement, Inhaltsreichtum und Erfahrenheit in die Bamberger Stadtpolitik einfließen werden. So sollten alle Neuen im Stadtrat die berühmte 100-Tagefrist zugesprochen bekommen, um sich einzuarbeiten und ihr Profíl zu schärfen. Durch die Pluralität der Parteienlandschaft wird es immer wieder zu einer Zusammenarbeit unterschiedlichster Farbkombinationen kommen müssen. Die Sachlösung wird verstärkt in den Mittelpunkt der politischen Arbeit gerückt, und das wird Bamberg gut tun.

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