Bamberger Thema
Kleines Reisetagebuch - Berlin mit den Grünen | 30.11.2016
BA-Thema, Aktuelles
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Im Rahmen des Mentoring-Programms der GAL-Stadtratsfraktion nahm Juliane Fuchs an einer Fahrt nach Berlin teil, auf Einladung eines Grünen-Bundestagsabgeordneten. Hier ihre Eindrücke aus dem politischen Berlin.
Drei Tage Berlin mit den Grünen Sonntag, 9.10.2016 Mittags Abfahrt in Bamberg im reservierten Abteil des ICE. Schon im Zug interessante erste Gespräche über Flüchtlingsarbeit. Ankunft in Berlin, wo unsere Reiseführerin sowie die (noch junge, gerade mit dem Bachelor fertige) unmittelbare Ansprechpartnerin der Grünen zu uns stieß. Dann mit dem Reisebus, der uns die Tage bis zur Abreise begleitete (mit wechselnden Fahrern, von Tag zu Tag wagemutiger in den zuweilen engen Straßen Berlins), zum Hotel, dort die Zimmer bezogen und Abendessen. Anschließend war frei und ich ging noch mit einer kleinen Gruppe zur nächsten Eckkneipe und wir diskutierten weiter über Schwierigkeiten und Glück der Flüchtlingsarbeit. Langsam schnallte ich (auch im Laufe des nächsten Tages), dass nur ein kleiner Teil der Gruppe unmittelbar zu den Grünen gehörte, der größere Teil war irgendwie ehrenamtlich tätig, meistens eben in der Arbeit mit Flüchtlingen (Deutschunterricht, Verteilen von Kleidung, Patenschaft, Organisation in den Turnhallen letztes Jahr usw.) Montag, 10.10.2016 Vormittags Treffen mit einem Referenten für das Europaparlament in der Berliner Dependance. Nach einem Überblick über die Geschichte und Institutionen der EU die Frage nach den Folgen des Brexit für die EU. Der Referent skizzierte die verschiedenen Möglichkeiten für den Austritt Großbritanniens aus der EU, um zu dem Schluss zu kommen, dass keine der drei angedeuteten Möglichkeiten rechtlich und (handels-)politisch möglich ist. Die Quadratur des Kreises ist ein Kinderspiel dagegen. Anschließend Treffen in der Heinrich-Böll-Stiftung. Auch hier zunächst ein Überblick über Arbeit der Stiftung, dann biss sich die Diskussion an dem Thema Rechtsextremismus, insbesondere AfD, fest. Welche Themen besetzt sie, warum ist sie so populär, ist sie die Partei der kleinen Leute, wird ihr Erfolg anhalten oder nicht? Insbesondere zur letzten Frage hatten die beiden Referenten verschiedene Auffassungen. Während der eine der Meinung war, dass die Partei im politischen Alltag wieder ihren Reiz verlieren werde, sah der andere Referent die Gefahr darin, dass zunehmend auch Gebildete, insbesondere Juristen, zu der Anhängerschaft zählen. Würden diese erst mal Schlüsselpositionen besetzen, wären die Auswirkungen äußerst bedenklich. Der Nachmittag gehörte dem Bundestag. Leider war in dieser Woche gerade Sitzungspause wegen Großputz der zahllosen Fenster. So bekamen wir (nach ausgedehntem Sicherheitscheck, der jedem Flughafen zur Ehre gereichte) nur allgemein den Plenarsaal erklärt (wozu dienen die Saaldiener? unter anderem dazu, um Schlafende in den Zuschauerreihen zu wecken), konnten noch einige Fragen stellen und trafen dann einen Referenten von Dieter Janecek, jenem grünen Abgeordneten, dem wir die ganze Fahrt zu verdanken hatten. Diesmal keine Einführung und kein Überblick, sondern gleich Fragen und Diskussion: Energiepolitik, noch mal Rechtsextremismus (diesmal nur am Rande) und natürlich die Frage nach möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl (bzw. zur Überlegung, ob gar keine Koalition, d.h. ein weiterer Verbleib in der Opposition die bessere Lösung gegenüber einer Koalition wäre). Viel zu kurz die Zeit auch diesmal (wie bei allen vorhergehenden Diskussionen). Da die Kuppel eben wegen Großputz geschlossen war, wurden wir noch eine Weile auf die Dachterasse gelassen für diverse Panoramablicke über Berlin, dann ging’s zum Abendessen. Anschließend fuhr ich mit einer kleinen Gruppe in die Innenstadt zu „Berlin leuchtet“ bzw. „Festival of Lights“. Auf verschiedene (berühmte) öffentliche Gebäude wurden großflächige (d.h. die ganze Fassade einnehmende) farbige, sich ständig verändernde Bilder projiziert, meistens noch mit musikalischer Untermalung. Da die jeweiligen architektonischen Merkmale natürlich unter den projizierten Bildern sichtbar blieben, waren die Augen gezwungen, sich die Bilder langsamer als gewohnt zu erschließen. Ein faszinierendes Schauspiel. Dienstag, 11.10.2016 Vormittags Treffen im Entwicklungshilfeministerium, pardon: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ins Rennen geschickt vom Ministerium wurde eine junge Bildungsreferentin (nach meiner Einschätzung auch erst vor kurzem gerade fertig mit dem Studium). Schnell war klar, dass ihre Powerpoint-Präsentation weniger eine Rolle spielen würde als unsere Fragen. Immer wieder ihre Betonung, dass die Projekte qualifiziert und zertifiziert und evaluiert … Und die wirtschaftliche Zusammenarbeit sei nur insofern gefragt, als es darum gehe, durch die Projekte „Partner auf Augenhöhe“ zu gewinnen. Eher nebenbei gab sie dann zu, dass der Haushalt mit sieben Milliarden Euro keine so große Rolle im Bundeshaushalt spielen würde (zum Vergleich (habe ich später nachgesehen): Der Verteidigungshaushalt ist für 2016 mit über 34 Mrd. Euro aufgestellt). Und ernüchternd die Antwort auf die Frage, welchen das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit usw. bei dem gerade aktuellen Aufenthalt der Bundeskanzlerin in Mali habe: gar keinen. Gar keinen. Es gehe eher – wer hätte das gedacht – um militärische Fragen und vor allem darum, dass weniger Flüchtlinge von dort kämen. (Eigene Anmerkung: Gerade dazu hätte gerade dieses Ministerium – bei guter Planung und entsprechender Ausstattung – einen hilfreichen Beitrag leisten können. So viel zum Thema „Partner auf Augenhöhe“). Die Referentin betonte stattdessen immer wieder, dass wir (im Sinne von: alle Verbraucher_innen) in Deutschland mit unserem Konsumverhalten steuernde Wirkung hätten (transfair, öko …). Als die Diskussion an diesem Punkt sich etwas verlief (der Unterschied in ihren Gesprächspartner_innen zwischen Schulklasse und den Grünen zumindest nahestehenden Menschen überwiegend in der Lebensmitte wurde dann doch bewusst), stellte ein Mitarbeiter ein konkretes Projekt vor, das er zwei Jahre lang begleitet hatte: zwei zerstrittene und sich bis aufs Blut (auch mit deutschen Kleinwaffen) bekämpfende indigene Bevölkerungsgruppen in Bolivien innerhalb von zwei Jahren zu befrieden. Der Mitarbeiter war insgesamt kritischer als seine junge Kollegin, vielleicht auch deshalb, weil er aus eigener Erfahrung über Möglichkeiten, Chancen, kleine Fortschritte und Grenzen seiner Arbeit berichten konnte. Doch obwohl auch dieses Projekt zertifiziert und evaluiert … wurde, besteht derzeit kein offizieller Kontakt mehr dorthin; wie die Gruppen heute miteinander umgehen und wie vor allem die Regierung nun, im Jahr 2016, mit ihnen umgeht (was letztlich, so der Mitarbeiter, der Kern des Streits war), weiß man so gut wie gar nicht. Auf unserem Besucherprogramm stand anschl. „Stadtrundfahrt unter politischen Aspekten“. Angenehm, dabei im Bus sitzen bleiben zu können, denn das Wetter draußen hatte sich für kalt und windig entschieden (später kam auch noch feucht dazu). Unsere Reiseleiterin (bei der ich lange eine angeborene „Berliner Schnauze“ angenommen hatte, bis sie mir später erzählte, dass sie erst ’89 nach Berlin gekommen war) führte uns unter den teilweise zentimetergenauen Manövern von Olaf, dem Busfahrer, kreuz und quer über die verschiedenen Sektorengrenzen und dem ehemaligen Verlauf der Mauer, zeigte uns geplante angefangene und fertige Bauprojekte (hoch, höher, am teuersten); was alles mehr - oder weniger - erfolgreich an Grundstücken und Gebäuden zu Geld gemacht wurde und wo noch (mehr oder weniger) kleine Teile des alten Berlin (d.h. vor allem aus dem 19. Jh.) erhalten geblieben sind. Die Erklärungen setzten sich nachmittags auf dem Weg nach Berlin-Hohenschönhausen (weit im Osten der Stadt) fort. Dort besuchten wir das ehemalige Untersuchungsgefängnis der Stasi. Ein ca. 20minütiger Film skizzierte die Geschichte des Gefängnisses sowie die Haftbedingungen (hier ein fast euphemistisches Wort) und stellte kurz einige ehemalige Gefangene vor. Dann begann die Führung. Alle diejenigen (oder zumindest ein großer Teil von ihnen), die dort Führungen anbieten, waren selbst zu DDR-Zeiten Gefangene dort. Der Mann, der uns führte, nahm die Rolle der damaligen zynischen Stasi-Beamten ein und führte uns vor, mit welchen perfiden Fragen und Methoden die Gefangenen, nachdem sie durch Dunkelhaft, teilweise auch Isolationshaft, Schlafentzug, Hunger, Durst und Endlosverhöre zermürbt genug waren, dazu gebracht wurden, alles Gewünschte zu unterschreiben. Und der Kreis wurde dann erweitert. Mit scheinbar unbedeutenden Nebensächlichkeiten, die den Gefangenen über Freunde, Bekannte, Familienmitglieder abgepresst wurden, wurde diesen suggeriert, dass der jeweilige Besuch eines seltsamen Unbekannten einfach alles über das eigene Leben weiß. Schon aus Furcht wurde diesem unheimlichen Menschen (von dem man sehr wohl ahnte, in wessen Dienst er stand) weitere Einzelheiten über Dritte erzählt- und die Spirale aus Angst und Bespitzelung drehte sich weiter. Die Führung schloss mit dem eindringlichen Appell: „Tun Sie alles, was in Ihren Kräften steht, damit so etwas nie wieder entsteht. Tun Sie alles, damit die Freiheit in unserem Land gewahrt bleibt.“ Leider war keine Zeit mehr für eine Diskussion. Mich beschäftigte – und beschäftigt immer noch – paradoxerweise – die Frage, was Menschen menschlich macht. Es ist viel darüber geforscht, nachgedacht, philosophiert worden, was Menschen zu Tätern macht. Aber was bewegt sie zur Menschlichkeit, was bewegt sie, im Sinne dieses Humanum tätig zu werden? Ich habe keine Antwort darauf. Ich brauchte nach diesen äußerst niederschlagenden Eindrücken von Unfreiheit und Unterdrückung und Folter unbedingt Kultur. Und da weiß ich in Berlin vor allem eine Adresse: Dussmann (Kulturkaufhaus, d.h. Bücher auf vier Etagen und tendenziell noch weiter wachsend, geöffnet von Montag bis Freitag von 9 bis 24 Uhr). Ich nahm Verschiedenes in die Hand, bis ich schließlich bei einem Buch blieb, in dem Menschen zwischen Zwanzig und Dreißig, deren Eltern den Großteil ihres Lebens in der DDR verbracht hatten, diese befragten oder über ihr Leben in diesem Staat oder in der Abfolge von DDR und BRD schrieben. Durchgehender Tenor zwischen den Generationen: oft (nicht immer, aber oft) Schweigen, Sprachlosigkeit, Unverständnis, Missverständnisse, Streit bis hin zum völligen Abbruch der Beziehungen. Noch ein Gedanke im Nachhinein: Die Zeit des Nationalsozialismus ist mittlerweile sehr gut erforscht (sicher immer noch nicht genug: Es gibt z.B. keine Darstellung der Geschichte Bambergs in der NS-Zeit und das mehrbändige Buchprojekt, das jetzt zur Geschichte Bambergs insgesamt entstehen soll, sieht für das gesamte 19. Und 20. Jahrhundert zusammen einen Band vor). Hier wird jetzt bedauert, dass kaum noch Zeitzeugen am Leben sind. Über die Zeit der DDR meinen wir (diesmal wir Westdeutschen) besser Bescheid zu wissen. Wir wussten und wissen von der DDR-Propaganda, dem Mauerbau, der Planwirtschaft, der Unfreiheit – grundsätzlich. Aber wie viel wissen wir wirklich? Und jetzt leben noch viele so genannte Zeitzeugen. Aber wo und wie mit ihnen ins Gespräch kommen – und mit wem? Mit den Pegidioten? Den ehemals Verfolgten? Den vielen, die einfach ihren Alltag lebten mit vielleicht dem ein oder anderen kleinen Ausflüchten im Alltag (Westfernsehen, Päckchen aus dem Westen …)? Mittwoch, 12.10.2016 Der letzte Tag unserer Berlinreise, eigentlich nur noch ein halber Tag. Einziger Programmpunkt war eine Führung durch das DDR-Museum, welches den Alltag der Menschen veranschaulichen sollte. Sicherlich gut gemacht für Jugendliche, die all das oft nicht mehr von ihren Eltern oder Großeltern erfahren. Für unsere Gruppe jedoch mit überwiegend über fünfzigjährigen, politisch aufgeschlossenen Teilnehmer_innen waren die meisten Themen und Exponate allzu Bekanntes: die Forderungen nach Planerfüllung, die schlechtere Qualität von elektrischen und sonstigen Geräten, der Mangel an Konsumgütern, die im Westen selbstverständlich waren, das strenge Reglement der Jugendorganisationen und die kleinen Ausflüchte im Alltag (s.o.). Unser Berlinbesuch ging langsam dem Ende entgegen. Noch ein kleines Stück Stadtrundfahrt, vor allem zu den Resten der Berliner Mauer, vorbei am Bundeskanzleramt (wo offensichtlich gerade ein Staatsgast eskortiert wurde, aber wohl ein nicht so bedeutender, meinte unsere Reiseleiterin, denn bis auf die Militärkapelle und einen roten Teppich hielten sich der Aufwand und die Absperrungen in Grenzen) und Schloss Bellevue – dann Ankunft am Bahnhof und schließlich die Rückfahrt, wo wir nach den dicht gefüllten Tagen eher still waren, lasen oder schliefen.
Was nehme ich mit von dieser Reise? Den unbedingten Wunsch, mich (weiterhin) politisch zu engagieren. Das gilt zum einen auf der lokalpolitischen Ebene bei den Bamberger Grünen (und selbst wenn es um scheinbare Kleinigkeiten wie ein paar neue Fahrradständer geht – dieses Kleine ist nicht gering zu schätzen, macht es doch Prioritäten in der Verkehrspolitik deutlich; und ab und zu lässt sich vielleicht auch ein größeres Projekt anstoßen, z.B. eine Ausstellung zur Geschichte Bambergs während der NS-Zeit), zum anderen durch die Beteiligung an Unterschriftsaktionen von Amnesty, Campact, Open Petition etc. Und schließlich in meinem Beruf, indem ich die Studierenden durch mein Lektorat immer wieder ermutige und nicht selten dränge, die zitierten Sätze weiterzudenken, kritisch zu denken, Zusammenhänge wahrzunehmen, Autoritäten zu hinterfragen und sich auf diese Weise des „eigenen Verstandes zu bedienen“. Juliane Fuchs |
Juliane Fuchs war von Mai bis Juli Teilnehmerin im Mentoring-Programm der GAL-Stadtratsfraktion. |
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