Mehrere tausend Menschen werden in ein paar Jahren auf der ERBA-Insel wohnen, arbeiten und studieren. Die einst von Textilindustrie geprägte Insel wird ihr Gesicht völlig verändern. Universitätsgebäude und Studentenwohnheime, Wohnungen, Einzelhandel und andere Gewerbe werden das Bild prägen. Was kommt in Zukunft auf die ERBA-Insel zu? Die zweite Runde im Bebauungsplan-Verfahren für die ERBA-Insel ist beendet. Der erste Entwurf wurde aufgrund der Einwände nochmals erheblich verändert. Dennoch bleibt der Eindruck: Das Gelände wird nach Ende der Landesgartenschau massiv bebaut, und die Nutzung droht kaum verkraftbare Verkehrsströme nach sich zu ziehen. Rund 20 ha Fläche umfasst die gesamte Halbinsel – gut die Hälfte davon ist von dem Bebauungsplan erfasst. 107.280 Quadratmeter Geschossfläche (= 10,7 ha) sollen darauf gebaut werden, in Gebäuden mit vier bis sechs Geschossen. Der Park, der auch nach der Landesgartenschau noch erhalten bleibt, wird nach Angaben der Stadt 13,5 ha betragen (zum Vergleich: Der Hainpark ist 48 ha groß.) 423 Wohneinheiten sind geplant (pro Wohneinheit ist mit mehreren BewohnerInnen zu rechnen), dazu kommen 330 Wohneinheiten in Studentenwohnheimen. (Zum Vergleich: Die benachbarte Mayersche Gärtnerei zählt 400 Wohneinheiten.) Man rechnet mit rund 400 Beschäftigten, die für Universität und andere Gewerbebetriebe (vom Lebensmittelladen bis zum Café) arbeiten werden. Dazu kommen täglich noch mehr als 1500 KundInnen dieser Gewerbebetriebe und mehr als 300 private BesucherInnen der AnwohnerInnen. Die Universität plant nach eigenen Angaben eine Nutzung von 10.000 Quadratmetern und prognostiziert, dass sich zu Hochzeiten des Uni-Betriebs 3000 Studierende dort aufhalten werden. Knotenpunkt ERBA-Brücke Diese Massen müssen erst einmal verkraftet werden – insbesondere von den Straßen und Wegen, die auf der ERBA-Insel entstehen werden. Der Zugang des motorisierten Individualverkehrs soll ausschließlich über die ERBA-Brücke abgewickelt werden. Dort wird laut einem von der Stadt in Auftrag gegebenen Verkehrsgutachten mit 400 bis 800 Kraftfahrzeugen in der Stunde gerechnet. Über den Tag verteilt gehen die Gutachter von einem Verkehrsaufkommen von 3814 Kfz-Fahrten täglich aus, dazu kommen noch 62 Lieferfahrten mit Lieferwagen oder kleineren Lkw. Zum Vergleich: Im Jahr 2001 betrug die Grundlast der Gaustadter Hauptstraße 11.600 Fahrzeuge, was sich aber inzwischen erhöht hat. Die Einmündung der ERBA-Brücke in die Gaustadter Hauptstraße wird also einiges abzuwickeln haben, weshalb die ExpertInnen auch eine Lichtsignalanlage und zusätzliche Fahrspuren an der Kreuzung für „zwingend erforderlich“ halten. Sie haben anhand der bekannten Zahlen eine Modellrechnung aufgestellt, um die zu erwartende verkehrliche Situation an diesem „Knotenpunkt“ einzuschätzen. Zwischen der bestmöglichen Kategorie A (= ungehinderter Verkehrsfluss) und der schlechtestmöglichen Kategorie F (= hohe Wartezeiten und Staubildung) ist für diese Kreuzung das Ergebnis E zu erwarten. Das würde bedeuten: „nicht mehr abbaubare Staus“, „hohe Wartezeiten“, bis hin zum „Verkehrszusammenbruch“. Eine solche Lage wäre „nicht akzeptabel“, so die Fachleute. Im Rahmen des Bebauungsplan-Verfahrens wurde deshalb inzwischen die empfohlene Ampelanlage eingeplant. Ob damit alle Verkehrsprobleme vom Tisch sind, ist fraglich. Skepsis bei Notzufahrt Maria-Ward-Straße Für den Fall einer temporären Sperrung der ERBA-Brücke, z.B. für Reparaturarbeiten, schlagen die GutachterInnen eine „Notzufahrt“ über die Maria-Ward-Straße (durch das benachbarte Viertel „Mayersche Gärtnerei“) vor. Diese solle dann eine Zufahrt für Rettungsfahrzeuge ermöglichen, sei aber im Normalfall durch Poller gegen den Allgemeinverkehr zu sichern. In den Bebauungsplanunterlagen der Stadtverwaltung klingt das nicht gar so streng. Dort heißt es von der Notzufahrt, sie solle „bei einem Ausfall der ERBA-Brücke die geordnete Erschließung des Gebietes ermöglichen“. Von einer Beschränkung auf Rettungsfahrzeuge ist hier nicht mehr die Rede. Die AnwohnerInnen der Mayerschen Gärtnerei haben darüber hinaus verständlicherweise die Befürchtung, dass ihr Viertel bei einer Überlastung von ERBA-Brücke und Gaustadter Hauptstraße eine generell geöffnete zweite Zufahrtsmöglichkeit hinnehmen muss. Enormer Stellplatzbedarf Doch die Fahrzeuge fahren nicht nur, sondern werden auch abgestellt. 1.230 benötigte Stellplätze errechnete die Verkehrsuntersuchung. 125 bis 145 davon sollen oberirdisch bereit gestellt werden, eine Tiefgarage für Uni, Studi-Wohnheime und Gewerbe wird 470 Parkplätze bieten. Der übrige Bedarf soll von den privaten Investoren im Rahmen der Wohnbebauung abgedeckt werden – größtenteils auch in Tiefgaragen. Ob das ausreicht, ist fraglich. Dabei gehen die Gutachter mit ihren Berechnungen ohnehin schon davon aus, dass die hohe Anzahl von Studierenden weniger Pkw-Verkehr und damit auch weniger Stellplatzbedarf verursacht. Um das auch zu erreichen, empfehlen sie eine fahrradfreundliche Gestaltung des Gebiets, durchgehende Rad-Verbindungen zur Innenstadt sowie ausreichend Fahrradabstellplätze. Laut Stellplatzsatzung der Stadt werden rein rechnerisch 627 Stellplätze benötigt, die Fachleute empfehlen die doppelte Menge. Bei der üblichen Bauweise solcher Abstellanlagen mit Bügeln, die beidseitig von je einem Fahrrad benutzt werden können, ergibt sich ein Flächenbedarf zum Abstellen von Fahrrädern allein von 1.900 Quadratmetern. Auch ein besseres Busangebot wird in der Untersuchung empfohlen, dazu aber gibt es bisher von Seiten der Stadt noch kein Konzept. „Disneylandisierung“ Eine Flut von Einwänden bezüglich der geplanten Bebauung brachte die Beteiligung der BürgerInnen und der Träger öffentlicher Belange. Viele davon wurden durchaus ernst genommen und fanden Eingang in den zweiten Planentwurf. Doch einige Knackpunkte bleiben. Die Kritik von Seiten des Denkmalschutzes führte dazu, dass mehr historische Gebäude erhalten bleiben als ursprünglich vorgesehen. Dennoch bleibt als Einwand der Heimatpflege die „Disneylandisierung“ eines geschichtlich bedeutsamen Industriestandorts. Das Landesdenkmalamt betonte außerdem, „(…) dass der denkmalpflegerische Wert der Anlage in seiner geschlossen erhaltenen Bausubstanz liegt. (…) Der beabsichtigte Abbruch großer Teile der ERBA und der damit verbundene nur versatzstückhafte Erhalt einzelner markanter Baulichkeiten (…) verhindern die Nachvollziehbarkeit der ehem. Industrieanlage, weil die Bauten ihrem funktionalen Kontext entrissen und zu allenfalls dekorativen Kulissen herabgestuft würden.“ Die Landesbehörde kündigte außerdem an, dass bei zu vielen Abrissen die ERBA ihren Denkmalstatus verlieren könnte, was auch zu steuerlichen Nachteilen führt. Ob es ausreicht, wenn nach den neuesten Planungen zusätzlich die Schlichterei, das Kesselhaus und das Maschinenhaus erhalten bleiben, wird sich zeigen. Lärm vom Hafen Erweisen wird sich auch, inwieweit Lärm eine Rolle spielt. Ein schalltechnisches Gutachten, das ein Ingenieurbüro im Auftrag der Hafenverwaltung erstellte, sieht die ERBA-Insel im direkten Einwirkungsbereich des Hafens und betrachtet eine Wohnbebauung „sehr kritisch“. Schon heute seien Gewerbe- und Industrielärm vom Hafen her grenzüberschreitend, noch mehr sei bei einem weiteren Ausbau des Hafens zu erwarten. Daraufhin erfolgte Lärmmessungen des Umweltamts ergaben, dass insbesondere nachts Überschreitungen von DIN-Normen festzustellen sind. Verursacher sind die vor allem nachts arbeitenden Speditionen. Auf Empfehlung des Amts wurde deshalb als Auflage in den überarbeiteten Bebauungsplanentwurf aufgenommen, dass alle Fassaden und Fenster von Wohnungen besonders schallschutzgedämmt sein müssen (passiver Lärmschutz). Ein aktiver Lärmschutz – etwa durch Schutzwände oder -wälle – wurde als technisch nicht sinnvoll erachtet. Wohnen für Reiche Eine ebenfalls noch immer anhaltende Kritik ist das Ausmaß der geplanten Bebauung. 104 Bäume müssen den Neubauten weichen (im ersten Entwurf waren das sogar noch 224). Die Baumasse wurde zwar in der Überarbeitung etwas abgespeckt, insbesondere die Geschosszahl verringert, aber zahlreichen KritikerInnen ist das auch heute noch zu viel. Ansonsten hat der Bebauungsplan viel Masse, aber wenig Vielfalt zu bieten. Wohneigentum im Hochpreissegment ist ausreichend vorhanden, aber keine sozialen Wohnungsangebote und keine modernen Modelle für generationenübergreifendes oder gemeinschaftliches Wohnen. Letzteres könnte man jetzt noch korrigieren und im Bebauungsplan festschreiben, der noch nicht endgültig ist. Nach den jetzigen Plänen wird das ERBA-Gelände eher eine Insel der Reichen, mit Uni-Trubel und Tendenz zum Verkehrskollaps.
sys
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