Kein Schuleschwänzen,
sondern gesellschaftliches Engagement

Was hat es zu bedeuten, wenn Lehrer vor halb leeren Klassen stehen und SchülerInnen unentschuldigt dem Unterricht fern bleiben? Nicht Schulbank-DrückebergerInnen haben sich davon gemacht, nein, engagierte SchülerInnen streiken – für eine Demokratisierung des Bildungswesen, für Gesamtschulen, kostenlose Bildung, mehr Lehrkräfte und eine Abschaffung des G8.

In Deutschland hat sich auch unter den SchülerInnen eine Streikkultur entwickelt. Angefangen mit dem bundesweit organisierten Bildungsstreik im Sommer 2009, weiter im Herbst und im Frühling dieses Jahres die ersten bayernweiten Demos gegen die Qualifikationsstufe 11, kurz Q 11.
Die Q 11-DemonstrantInnen sind keine faulen Schulschwänzer, sondern fordern eine Schule, die einen guten Rahmen zum Lernen schafft. Das achtjährige Gymnasium bedeutet aber für viele SchülerInnen persönliche Überforderung im Zeitmanagement unter hohem Leistungsdruck. Außerdem fehlt eine Beteiligung der Betroffenen an dieser Schulreform, die über deren Köpfe hinweg entschieden wurde. Und die zentrale Motivation der bayerischen Staatsregierung waren Einsparmaßnahmen durch Abschaffung eines ganzen Gymnasialjahrgangs.

Die sprach mit Adam Konieczny, der den Bamberger Q 11-Streik mitorganisierte, bei dem rund 550 SchülerInnen auf die Straße gingen.

: Was war eure Motivation, dem Unterricht fern zu bleiben, um stattdessen zu demonstrieren?
Adam: Wir sind auf die Straße gegangen, weil die Zustände im G8 und insbesondere in der Q 11 der Oberstufe langsam unerträglich werden. Vor allem haben wir demonstriert gegen die zu hohe Stundenzahl und –fülle und die schlecht ausgearbeiteten und praxisfremden Lehrpläne.


: Wie erlebt ihr selbst konkret im Schulalltag Probleme der neuen gymnasialen Oberstufe?
Adam: Es fehlt vor allem an der Zeit. Man muss sich entscheiden, worin man sie investiert; Vor- und Nachbereitung des Unterrichts oder seine eigene Freizeit, also Hobbys. Manche SchülerInnen haben lange Fahrzeiten, und wenn man bis 5 Uhr in der Schule sitzen muss, dann bleibt wenig Zeit für außerschulische Interessen.

: Was waren die Reaktionen der Schulen?
Adam: Viele Direktoren haben mit Verweisen gedroht, tatsächlich wurden jedoch weitaus weniger verteilt. Geschadet hat’s uns trotzdem, weil die Leute aus Angst vor dieser Repressalie nicht gekommen sind. Aber es haben uns auch Rektoren und Lehrer motiviert und unterstützt.

: War der Streik wirkungsvoll?
Adam: Auf jeden Fall. Wir waren in den Medien sehr präsent und haben auch Unterstützung von der Bevölkerung erhalten. Die Krone hat all dem eine ältere Dame aufgesetzt, die uns am Gabelmann per Megaphon ihre Unterstützung aussprach und den Vergleich zog zwischen ihren Enkelkindern, die zu G9-Zeit zur Schule gingen und denjenigen, die jetzt, ich zitiere: „an diesem neuen System kaputtgehen“.


: War ein Streik die richtige Maßnahme oder wäre eine Demonstration außerhalb der Schulzeit nicht gleichermaßen effektiv gewesen?

Adam: Keinesfalls. Eine Demonstration außerhalb der Schulzeit wäre genauso wenig effektiv wie ein Graffiti an der Rückwand eines Supermarktes. Es ging uns gerade darum, am Tag der Zeugnisausgabe zur Schulzeit zu fehlen, denn es ist uns wichtiger, für unsere Bildung zu demonstrieren, als unser Zeugnis abzuholen.


: Wie wird es weitergehen bezüglich der Q 11 Streikbewegung und wird es überhaupt weitergehen?
Adam: Es wird nicht nur, es geht bereits weiter! Dezentrale Demos hat’s zwar noch nicht wieder gegeben, doch am 9. Juni wird erneut im Rahmen des Bildungsstreikes demonstriert.



Interview: Svenja Fluhrer

   

Adam Konieczny (18) besucht das Dientzenhofer-Gymnasium und war Mitorgansiator des Q 11-Streiks



"Es war beeindruckend zu sehen, wie die gesamte Lange Straße mit einer Schlange aus gutgelanten, lauten Schülern gefüllt war."


Q 11 und G 8

Mit dem G8 (achtjähriges Gymnasium) wird das Abitur bereits nach 8 Jahren statt bisher 9 Jahren erreicht. Die gymnasiale Oberstufe umfasst jetzt die 11. und 12. Klasse und heißt Qualifikationsstufe 11, kurz Q11. In diesem Schuljahr 2009/10 hat der erste G8-Jahrgang die Qualifikationsstufe erreicht und bekommt die Auswirkungen zu spüren.