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Politik hängt am Tropf potenter Lobbyisten 12.04.2011
Presse-Mitteilung, Aktuelles, BA-Thema
GAL-Diskussionsabend brachte spitzfindige Methoden und verblüffende Statistiken ans Licht

Gewählte PolitikerInnen regieren unser Land, aber wer regiert eigentlich die Politik? Das fragte Referent Martin Becher, neuer Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus in Bad Alexandersbad, bei einem von zahlreichen Interessierten besuchten Diskussionsabend der Bamberger Grünen. Ist Politik tatsächlich ein Kasperle-Theater mit Figuren, die von unsichtbaren Händen hinter der Kulisse geführt werden?

Zahlen sprechen durchaus dafür: rund 10.000 akkreditierte Lobbyisten gibt es laut Becher allein in Brüssel beim EU-Parlament. Und die Kräfteverhältnisse sind ebenfalls aussagekräftig: So bezahlen die deutschen Arbeitgeberverbände BDI  und BDA 16 hauptamtliche Kräfte in Brüssel, während der DGB nur über eineinhalb verfügt.

In Deutschland ist das nicht anders, so Becher. Nach den von ihm vorgelegten Statistiken gibt es Spenden an die Parteien in Millionenhöhe, wobei diese aufgrund des Parteiengesetzes noch recht transparent für die Öffentlichkeit sind. Etwas nebulöser wird es da schon beim Sponsoring an die Ministerien, das öffentlich kaum bekannt ist. Während in den Jahren 2007 und 2008 Horst Köhler im Bundespräsidialamt seine Feiern und Feste noch mit nur 3,6 Mio Euro organisieren musste und Projekte im Umweltministerium mit nur 2,7 Euro gesponsort wurden, bekam das Auswärtige Amt schon 12 Mio, der kaum bekannte Beauftragte für Kultur und Medien 10,2 Mio und – absoluter Spitzenreiter –das Gesundheitsministerium 42,3 Mio. Welche Sponsoren dahinter stecken, muss nicht bekannt gemacht werden, ließ aber auch bei der Grünen-Diskussionsrunde viel Raum für Spekulationen.

Doch Becher sieht auch handfeste Gründe für diese Entwicklung: „Politik und Behörden sind in unserer zunehmend globalisierten und komplexen Welt überfordert. Sie sind nicht mehr in der Lage, Gesetze so schnell und so fundiert zu erarbeiten wie nötig. Sie benötigen Wissensinput von außen, brauchen Forschung und Studien, sind auf Öffentlichkeitsarbeit usw. angewiesen. Das Problem ist aber, dass hier vor allem potente und gewinnorientierte Unternehmen in die Bresche springen, nicht aber Nichtregierungsorganisationen, deren Kompetenz genauso wichtig wäre.“

Das westliche Demokratiemodell, so Becher, beruhte ursprünglich auf der Idee einer Vielfalt von Interessen, die sich gegenseitig ausgleichen. „Aber diese Chancengleichheit ist heute nicht mehr gegeben, es gibt eine ganze Bandbreite von mächtigen bis ohnmächtigen Interessen. Und die Politik ist immer weniger in der Lage, den Ausgleich zu schaffen.“

Weitere Formen des Lobbyismus sprach Becher an, etwa die sogenannte „Drehtür“: Parlamentarier nehmen wie selbstverständlich Posten in der freien Wirtschaft an, und umgekehrt kommen Vertreter von Wirtschafts- und anderen Interessen über die Parteilisten direkt ins Parlament. „Weil alle Parteien das machen, gibt es darüber keinerlei Gezänk mehr, eine Einflussnahme ist es aber doch“, meint Becher.

Politik lässt sich aber auch direkt mit Lobbyistentätigkeit verbinden: Im Jahr 2009 hatten von 622 Bundestagsabgeordneten 111 einen oder mehrere „Nebenjobs“ mit einem Gehalt von über 7000 Euro monatlich. Top-Nebenverdiener waren damals die beiden Unions-Politiker Michael Fuchs und Michael Glos mit je 3 solcher Nebenjobs als Berater für Banken und andere Firmen. „Solche Politiker dienen als Türöffner und Kontaktgeber – und allein das ist den Firmen offensichttlich eine Stange Geld wert“, stellte der Referent fest.

Welche subtilen Ausmaße Lobbyismus auch annehmen kann, zeigte Becher am Beispiel der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), einem wirtschaftsnahen Verband, der sich überparteilich gibt und mit Botschaftern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens arbeitet: PolitikerInnen, SchauspielerInnen, SportlerInnen usw. Ziel der INSM ist eine marktfreundliche Politikausrichtung, die die Leistungsgesellschaft postuliert und Demokratie gerne als behäbig und langwierig darstellt. Dafür platziert die INSM regelmäßig ihre Botschafter in Talkshows, ohne dass diese dort als solche auftreten; an Zeitungen werden kostenlos gut gemachte Interviews gegeben, die geschickt in eine bestimmte Politikrichtung stoßen. Von der beliebten Vorabendserie „Marienhof“ wurden laut Becher sechs Folgen gekauft, in denen das Negativbild eines selbstverschuldet gescheiterten Arbeitslosen gezeichnet wurde. Und in einer großen Anzeigenkampagne versuchte die INSM, staatliche Sozialleistungen als schädliche Subventionen zu brandmarken. „Ein sehr subtiler, gleichwohl aggressiver Wirtschaftslobbyismus, der unsere Demokratie aufzuweichen droht“, so Becher.

Genaues Hinterfragen, Transparenz und Kontrolle sind nötig, um lobbyistische Auswüchse aufzudecken, so das Fazit der teilweise nur noch kopfschüttelnden DiskussionsteilehmerInnen. Dazu tragen beispielsweise Homepages wie www.lobbycontrol.de bei. Aber auch das wurde an dem Abend deutlich: LobbyistInnen suchen und finden immer neue Wege der Einflussnahme.

sys



Christiane Nill pixelio.de


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