„Wir leben nicht, um zu arbeiten, wir arbeiten, um zu leben.“ Eigentlich ein vernünftiger Grundsatz, allerdings für viele Hartz IV-EmpfängerInnen angesichts ihrer persönlichen Lebensumstände nichts als schöne Worte. Insbesondere für diejenigen, die von morgens bis abends schuften, denen das erarbeitete Geld aber doch nicht reicht, um auszukommen. Im September 2010* bezogen in Stadt und Landkreis Bamberg 5.334 Menschen so genanntes Hartz-IV-Geld (= Arbeitslosengeld II). Interessant daran ist vor allem die Tatsache, dass von diesen ALG-II-BezieherInnen rund ein Drittel (1.754 Personen) erwerbstätig ist. Sie verdienen mit ihrer Arbeit aber so wenig, dass sie das Existenzminimum nur durch eine Aufstockung mit ALG-II erreichen und so ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Über 400 solche so genannte „AufstockerInnen“ arbeiten – und das ist nicht nur interessant, sondern auch erschreckend und skandalös – sogar Vollzeit und können dennoch sich und ihre Familien nicht mit dem Notwendigsten versorgen. Und dabei geht es nicht um einen schicken LCD-Fernseher oder einen Urlaub in Bella Italia, sondern um ganz banale alltägliche Dinge wie Essen und Trinken, die Wohnungsmiete und Schulhefte für die Kinder. Die Familie „macht“ arm Besonders häufig betroffen sind allein erziehende Frauen und Beschäftigte in den Branchen des Gast- und Verkehrsgewerbes, der Reinigungsdienste sowie in der Leiharbeit. Also die „üblichen Verdächtigen“ in puncto Niedriglöhne. Aber laut Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist nicht die Ausweitung des Niedriglohnsektors an der Zunahme von AufstockerInnen schuld (bundesweit in den Jahren 2005 bis 2010 von 1,5 % auf 2,6 %). Sondern, so der Fachmann, „eine große Familie (ist) der Grund, warum das Gehalt nicht zum Leben reicht.“ Alles klar! Das erinnert doch sehr an den „fürstlichen“ Ratschlag einer von Thurn und Taxis zum Thema AIDS in Afrika, welche den dortigen Menschen empfahl, halt nicht so viel zu „schnakseln“. 50 Milliarden Euro an Steuergeldern sind seit dem Start von Hartz IV im Jahr 2005 bislang für die Aufstockung von Niedriglöhnen verwendet worden. Statt den Niedriglohnsektor mit Hilfe von Mindestlöhnen endlich wirksam einzuschränken und die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, schafft in Deutschland die Politik sogar noch Anreize! Durch aufstockendes ALG II übernimmt der Staat praktisch „eine Ausfallbürgschaft für Niedriglöhne, weil das Einkommen eben nicht zur Deckung des Existenzminimums ausreicht“. (IAQ=Institut für Arbeit und Qualifikation, Uni Duisburg/Essen). Und diese versteckten Subventionen werden von der Wirtschaft nur allzu gerne angenommen. Stadt drückt sich um Selbstverpflichtung Die kommunalen Einflussmöglichkeiten mögen zwar beim Thema „Armut“ im allgemeinen und Mindestlohn im besonderen sehr begrenzt und nur wenig geeignet sein, an den Ursachen etwas zu ändern. Die Stadt Bamberg könnte hier jedoch insoweit aktiv werden, als sie selbst Mindestlöhne garantiert. Ein solcher Vorstoß wurde von der GAL bereits 2007 unternommen, von der Stadtratsmehrheit aber abgelehnt. Begründung damals: Die Stadt und ihre Töchter zahlen Löhne oberhalb der diskutierten Grenze für Mindestlöhne, deshalb halte man das für unnötig. Gerade deshalb aber könnte die Stadt ein Zeichen setzen, meinte die GAL, als Vorbild für andere Arbeitgeber in der Region und als verlässliche Zusicherung für alle städtischen ArbeitnehmerInnen. Aber das war der Stadtratsmehrheit und ihrem dem Parteibuch nach sozialdemokratischen Oberbürgermeister zu heikel – abgelehnt. Toleranzgrenze für Mieten ist veraltet Auch bei den Wohnkosten könnte die Stadt die in Bamberg lebenden Armen unterstützen. Denn Aufstocken heißt noch lange nicht, dass man jetzt „ausgesorgt“ hat. Im Gegenteil, die Bürokratie fängt erst an. Mietkosten von ALG-II-BezieherInnen werden nämlich nur bis zur maximalen Höhe einer sog. angemessenen Miete übernommen bzw. bezuschusst. Die Höhe wird von der Kommune festgelegt – und ist von der Stadt Bamberg schon seit Jahren nicht mehr angepasst worden. Das heißt: Die Mieten sind in den letzten Jahren merklich gestiegen, die Toleranzgrenze zugunsten armer Menschen nicht. Betroffene können sich zwar ein Stück weit selbst helfen: Denn wenn sie nachweisen, dass sie sich um eine entsprechend günstigere Wohnung vergeblich bemüht haben, muss laut gesetzlichen Bestimmungen der Staat die gegebenen Mietkosten als angemessen anerkennen. Darüber wird aber von Seiten der Behörden nicht aufgeklärt. Stattdessen werden Bescheide versandt, mit der lapidaren Mitteilung, die tatsächliche Miete sei zu hoch und werde deshalb nicht im vollen Umfange übernommen. Man müsse nun also entweder innerhalb der nächsten sechs Monate umziehen oder untervermieten. Hilf dir selbst – die Behörde tut’s nicht! Eine gute rechtliche Beratung im Interesse der Menschen, die auf staatliche Finanzhilfen angewiesen sind, scheint es nur bei den Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände zu geben. Die BehördenmitarbeiterInnen agieren hingegen im Interesse des staatlichen Spar-zwangs. Doch wenn die AntragstellerInnen Widerspruch gegen die behördlichen Bescheid einlegen, haben sie gute Aussichten auf Erfolg. Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken 2010 antwortete, wird 36 % der Widersprüche sofort statt gegeben, d. h. die Arge (jetzt Jobcenter) nimmt selbst die Korrektur vor. Von den verbleibenden Widersprüchen sind dann nochmal 48,8 %, also rund die Hälfte, vor Gericht erfolgreich und führen zu Korrekturen zugunsten der HilfeempfängerInnen. Scham und Ausgrenzung Auf ALG II angewiesen sein, das bedeutet aber mehr als notorische Ebbe im Portemonnaie. Folgen sind Ausgrenzung, ein drastischer Rückgang von sozialen Kontakten und immer weniger Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Kinder „dürfen“ nicht zu Geburtstagen gehen, da man es sich nicht leisten kann ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Kinder sind „plötzlich krank“, wenn es um zusätzliche Veranstaltungen wie z. B. Theaterbesuch oder Wandertag in Kindergarten und Schule geht. Einladungen von FreundInnen auf ein Bierchen auf dem Keller werden ausgeschlagen. Selber zu einem kleinen Fest einzuladen, steht gar nicht erst zur Debatte. Sicherlich hätte jeder Verständnis, wenn das Kind ohne Geschenk käme oder es gäbe einen „Sonderetat für Bedürftige“ oder jeder brächte einen „Nudelsalat“ mit. Aber oftmals ist die Scheu viel zu groß, gerade im Freundes- und Bekanntenkreis kundzutun „Ich bin Hartz-IV-EmpfängerIn“, was nicht zuletzt angesichts der noch immer weit verbreiteten Vorurteile über „arbeitsscheues Gesindel“ und „Sozialschmarotzer“ nachvollziehbar erscheint. Har *Angaben von der Bundesagentur für Arbeit und dem Bamberger Arbeitslosenverein „Die Idee e.V.“
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