Das System der Ankunfts- und Rückführungseinrichtung für Balkanflüchtlinge ARE – ein System der Abschottung und Abschreckung – wird immer weiter ausgebaut und verfeinert. Nichts deutet auf Besserung für die Bewohner*innen hin. Ob die bevorstehende Umwidmung des „Balkanlagers“ mangels Balkanflüchtlingen in eine „Besondere Erstaufnahmeeinrichtung“ für andere Geflüchtete mit geringer Bleibepersepektive daran etwas ändern wird, ist mehr fraglich. Es steht zu befürchten, dass dieselbe Praxis nur ein neues Etikett erhält. Hier einige Schlaglichter auf die Zustände in der ehemaligen Flynn-Housing-Area. sys Karikatur: Thomas Plaßmann Aus den Augen
Bald soll es einen Shuttle-Bus geben, der die ARE mit der Innenstadt und dem Klinikum verbindet. Die Vermutung liegt nahe, dass damit auf Beschwerden aus der Bevölkerung reagiert wird, weil ARE-Bewohner*innen die öffentlichen Stadtbusse, insbesondere die Linie 902, nutzen. Die Benutzung des Bus-Shuttles soll kostenlos sein. Zu erwarten ist aber, dass für die Finanzierung des Bus-Shuttles den Flüchtlingen das Taschengeld entsprechend gekürzt wird und zwar egal, ob und wie oft sie Bus fahren oder nicht. ARE-Bewohner*innen werden also künftig kaum mehr in Stadtbussen zu finden sein, und ihnen werden auch nur zwei Ziele in der Stadt verordnet: Klinikum und Innenstadt. Ein Stück Selbstbestimmung weniger und Abschottung mehr. Auch die Birkenallee soll künftig möglichst „flüchtlingsfrei“ gehalten werden. Obwohl gerade erst ein neuer Container für das Wachpersonal am Eingang zur ARE aufgestellt wurde, soll der schon bald wieder verlegt werden. Weil sich Anwohnende über zu viele Flüchtlinge auf der Straße und dem Gehweg vor ihren Häusern beschwert haben, wird das alte Army-Gate am Ende der Birkenallee als Zugang geschlossen und ein neuer Fußgänger-Eingang an der Ecke zur Pödeldorferstraße geschaffen. Der vorhandene Zaun muss entfernt, ein Tor mit Weg dahin angelegt und besagter Security-Container aufgestellt werden. Auch für die Flüchtlinge ist ein Zugang an dieser Stelle bequemer, was aber mit Sicherheit nicht der Grund für die Maßnahme ist. Motorisierter (Liefer)Verkehr hingegen fährt weiterhin über die Birkenallee. Pseudo-Schule Nachdem man – einige Monate nach Eröffnung – begann, Balkan-Flüchtlinge aus ganz Bayern in die ARE überzusiedeln, trafen hier auch Kinder ein, die länger als drei Monate in Deutschland waren, unter die Schulpflicht fielen und bereits anderswo Regelschulen besucht hatten. Unter ihnen waren Kinder mit sehr guten Deutschkenntnissen. Die danach eingerichteten „schulischen Maßnahmen“ umfassen inzwischen zwei Schulstunden Unterricht pro Tag für jedes Kind. Es gibt dafür zwei Lehrkräfte. Deutsch wird nicht unterrichtet. Es wird viel gebastelt und gemalt, sporadisch werden auch Mathe und Physik unterrichtet. Die Schule wird von den meisten Kindern nicht ernst genommen, allenfalls als Bespaßung gesehen. Viele gehen gar nicht hin, zum Teil auch, weil sie wegen der engen Belegung der Wohnungen keine ausreichende Nachtruhe haben. Die Anwesenheit wird nicht kontrolliert, wie dies die Schulpflicht erfordert. Die bayerische Staatsregierung stellt sich offiziell auf den Standpunkt, dass sie ihrer gesetzlichen Pflicht zur Beschulung Genüge getan hat. Dass dem nicht so ist und man das in München auch sehr genau weiß, zeigt der jüngste Fall aus Manching, wo es eine zweite ARE in Bayern gibt. Dort setzte ein Rechtsanwalt im Mai für drei Kinder den Besuch einer Regelschule durch. Sie erhielten vom Kultusministerium eine Ausnahmegenehmigung, um ein Gerichtsurteil und somit einen Präzedenzfall zu verhindern. Die bayerische Staatsregierung plant allerdings ein Landesgesetz, in dem die Schulpflicht für Aufnahmeeinrichtungen generell entfällt, egal wie lange die Kinder sich dort befinden. Ein klarer Verstoß gegen das Verbot von Diskriminierung und Ungleichbehandlung und gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Medizinische Versorgungslücke Es gibt eine Ambulanz in der ARE, in der täglich für ein paar Stunden ein Arzt oder eine Ärztin praktizieren, einmal in der Woche auch ein Kinderarzt. Darauf sind die ARE-Bewohner*innen angewiesen, denn eine freie Arztwahl haben sie nicht. Am Wochenende und an Feiertagen sowie abends und nachts hingegen gibt es keine medizinische Versorgung, da kein Vertragsverhältnis mit der kassenärztlichen Vereinigung als Vertretung der niedergelassenen Ärzte besteht. Der Bereitschaftsdienst kann also nicht konsultiert werden. So wird auch ein eher einfach zu behandelndes Problem künstlich schnell zum Notfall konstruiert und ein Sanitätswagen geholt bzw. die Notaufnahme im Klinikum beansprucht. Gewaltschutzkonzept? Fehlanzeige Aufgrund einer Verpflichtung durch die EU erstellte der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs ein Gewaltschutzkonzept für Flüchtlingsunterkünfte. Es wird in der ARE in so gut wie keinem Punkt eingehalten. Zum Beispiel gibt es keine separate Unterbringung von allein stehenden Müttern mit ihren Kindern, keine geschlechtergetrennten Duschmöglichkeiten, keine Ansprechperson für die Flüchtlinge, keine Kooperation mit einer Beratungsstelle, keinen Notfallplan. Es gibt nicht einmal die Möglichkeit, sein Zimmer abzusperren, ebenso wenig wie die Wohnungstüre – die Schlösser sind entweder ausgebaut oder alle Schlüssel sind bei der Hausverwaltung unter Verschluss. Keine Ausreise – kein Taschengeld … und umgekehrt! Bislang erhielten alle Geflüchteten in der ARE das so genannte „Taschengeld“ zur Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums (gemäß Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012) alle 14 Tage bar ausbezahlt. Dieses Geld ist für den „persönlichen Bedarf“ gedacht, z.B. Telekommunikation, Zigaretten, Süßigkeiten für Kinder, Busfahrkarten etc. Seit kurzem erhalten Asylsuchende mit negativem Bescheid nach Ablauf der Klagefrist von einer Woche überhaupt kein Bargeld mehr. Laut neuesten Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes wird ihnen ein „persönlicher Bedarf“ pauschal nicht mehr zuerkannt. Inwieweit dies der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht, kann bezweifelt werden. Gleichzeitig wird von den Ausreisepflichtigen verlangt, dass sie ihre Ausreise selbst finanzieren, wenn sie zum zweiten Mal ausreisepflichtig werden (also schon einmal ein Asylverfahren abgelehnt wurde, egal, wie lange das her ist). Das führt zu der kuriosen Situation, dass die Betroffenen dazu gezwungen wären, sich die Ausreise vom Taschengeld abzusparen, das sie gar nicht mehr bekommen. Beraten wird nicht! Gegenüber dem Stadtrat Bamberg, Ehrenamtlichen und der Öffentlichkeit (Presse) sicherte die Regierung von Oberfranken bei Einrichtung der ARE eine „ausreichende Asylsozialberatung“ vor Ort zu. Bis heute existiert diese nicht. Auf alle Beschwerden diesbezüglich wurde mit Vertröstungen und leeren Versprechungen reagiert. Ohne Asylsozialberatung werden die Menschen vollkommen mit ihren Fragen zum Asylverfahren, zu ihrem Leben in Deutschland sowie ihren Zukunftsperspektiven allein gelassen. Des Weiteren ist ohne Aufklärung über Rechte und Pflichten ein faires Asylverfahren nicht zu erreichen. Die ARE-Leitung beharrt in öffentlichen Verlautbarungen darauf, dass es ein „niederschwelliges Angebot“ an Asylsozialbetreuung gibt. Tatsächlich besteht dieses aus einem Hausmeister, der Albanisch spricht und einen Teil seiner Arbeitszeit für Dolmetschertätigkeit verwendet. Für die Übersetzung eines vom Verein „Freund statt fremd“ erstellten Informationsblatts zum Asylverfahren sah sich das BAMF nicht in der Lage. |