Das „S“ und „U“ des Mainzer Einkaufs

Alles, was man in den Rathäusern der Stadt Mainz so braucht, wird zentral beschafft. Dabei spielen öko-soziale Kriterien eine gewichtige Rolle. „Überzeugungsarbeit statt Bevormundung“ lautet die Devise von Ulrich Hellenbrand, dem Herrn über den städtischen Online-Shop. Die sprach mit ihm über Backofenspray, Puppen und Büromöbel.

 

Screenshot vom Onlineshop des Mainzer Rathauses

 

Die Leiterin einer Kindertagesstätte in Mainz geht einkaufen. Naja, sie geht eigentlich nicht, sie setzt sich an den PC und wählt die Adresse des städtischen Online-Shops. Heute braucht sie Kaffee für ihre Mitarbeiterinnen, Orangensaft für die Kinder, Papier fürs Büro, und ein paar kaputte Spielsachen müssen auch ersetzt werden. Sie klickt sich durch die Angebote und achtet besonders auf die mit „U“ oder „S“ markierten Produkte. Das bedeutet „umweltfreundlich“ und „sozial verträglich“. In kürzester Zeit ist sie durch, schickt die Bestellung ab und geht wieder an die Arbeit ins Spielzimmer. Ein paar Tage später werden die Sachen geliefert.

2,5 Mio Artikel im Online-Shop

So geht das in Mainz zu. 2004 wurde der Grundstein für dieses moderne Beschaffungswesen der Stadt Mainz gelegt. Aktuell umfasst es 2,5 Mio Artikel, vom Teebeutel bis zur Motorsäge, vom Kartenspiel bis zum Bürostuhl, von Zeitungsabonnements bis zu Arbeitsanzügen. Sogar Dienstreisen sollen künftig aufgenommen werden.

Ulrich Hellenbrand, damals neuer Sachbearbeiter in der „Verdingungsstelle“ – heute Abteilung „Vergabe und Einkauf“ – hat zusammen mit seinem Chef das System aufgebaut, mehr oder weniger in Eigeninitiative – eine two-men-show sozusagen. Als der Mainzer kurz vorher seine Stelle antrat, musste er feststellen, dass kaum ein Überblick darüber zu erhalten war, was von der Verwaltung wann wo wie eingekauft wurde. „Wir wollten einfach nur mal sehen, welche Büromaterialien beschafft werden. Doch es war nicht möglich. Da hatte dieser Mitarbeiter Kontakt zu jenem Händler, und der zu einem anderen, alle kauften irgendwo ein und die Kommune zahlte.“ Es habe zwar Rahmenverträge mit dem Großhandel gegeben, die Mengennachlässe vorsahen, doch deren Einhaltung war nicht nachzuvollziehen. „Mit Sicherheit wurde die Stadt von solchen Händlern auch über den Tisch gezogen und zahlte unkorrekte Rechnungen“, erzählt Hellenbrand im Interview mit der . Den Geldverlust schätzte er durchaus erheblich ein.

865 Accounts für 4000 Beschäftigte

Solche Zustände waren Ulrich Hellenbrand ein Graus, das merkt man ihm auch heute noch an. Nicht dass er kontrollsüchtig wäre, er war und ist nur ein kühler und strenger Rechner. „Unsere Beschäftigten sollen ihre Arbeitszeit nicht mit Einkaufen vergeuden, auch wenn es schon mal Spaß machen kann, während der Dienstzeit in der Stadt Kaffee oder Klopapier zu besorgen“, sagt er. „Direkte Händlerbeziehungen können außerdem ein Quell für Mauschelei und Korruption sein.“ Und er kalkuliert ganz einfach: „Wenn viele das gleiche kaufen, kann man gemeinsam beträchtliche Rabatte heraushandeln und spart Geld.“ Es sprach also viel dafür und wenig dagegen, eine zentrale Beschaffung einzuführen und komplett auf online umzustellen.

Wie haben’s die Beschäftigten der Stadt aufgenommen? Wie bei allen Neuerungen „anfangs durchaus mit Widerstand“, meint der heutige Chef des Mainzer Online-Shops. Insbesondere gab es zur damaligen Zeit noch große Vorbehalte gegen das elektronische Bestellen. „Aber eigentlich war schon nach zwei Jahren das System anerkannt.“ Heute gibt es unter den 4000 Arbeitsstellen, die in den Rathäusern, Museen, Bibliotheken, Werkstätten oder im Wohnungsbauunternehmen der Stadt Mainz über den Online-Shop versorgt werden, 865 Accounts.

Vor allem das Revisionsamt war dabei hilfreich: Es wurden einfach nur noch Bestellungen über das städtische Katalogwesen anerkannt. Wenn ein Beamter mal eben irgendwo was besorgt hat, dann war er privat unterwegs, so die strikte Haltung der Mainzer Rechnungsprüfer. Er blieb auf der Rechnung sitzen. Das sorgte verständlicherweise schnell für ein Ende der Alleingänge.
Bald machte die Verwaltung also richtig mit, und Hellenbrand bekam sogar Hinweise und Anregungen zu einzelnen Produkten. Auf Betreiben der Abteilung Arbeitssicherheit wurde etwa ein Backofenspray aus dem Katalog genommen, weil dies als gesundheitsschädlich in Verdacht kam, und eine Ärztin sorgte während der grassierenden Vogelgrippe für ein nötiges Update bei den Desinfektionsmitteln.

Umweltfreundlich „U“ und sozial verträglich „S“

So fanden nach und nach auch öko-soziale Standards Eingang in das Mainzer Beschaffungswesen. „Man kann bei uns öko-sozial bestellen, aber nicht nur“, erklärt Hellenbrand. „Wir sind jedoch ständig dabei, solche Standards zu markieren, mit unseren eigenen Labels U und S, aber auch mit händler- oder verbandseigenen Logos.“ Die Mainzer Beschäftigten sind also nicht gezwungen, aber angehalten bzw. eingeladen, beim Einkauf auf Konsum-Verantwortung zu achten. Für die Mitarbeiter*innen gibt es spezifische Schulungen, etwa für KiTa-Beschäftigte zum Thema „Spielzeug“. Die Abteilung „Vergabe und Einkauf“ ist jederzeit für Fragen und Beratung ansprechbar. „Und wenn wir merken, dass in bestimmten Teilen der Stadtverwaltung dem S und dem U so gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, dann kommen wir da auch mal zum Gespräch vorbei, oder schicken denen Muster und Proben, um sie zu locken,“ erklärt Hellenbrand seine dezente Strategie. Durch Überzeugungsarbeit sind mittlerweile mehrere Frischfaserpapiere völlig aus dem Katalogangebot gefallen. „Nicht dass wir sie gestrichen hätten, aber der Bedarf war irgendwann einfach Null“, berichtet Hellenbrand stolz, denn die Bezieher*innen hatten auf umweltfreundliche Recycling-Alternativen umgestellt.

Zivilgesellschaft arbeitet mit

Ziel des Mainzer Einkaufsexperten ist, den Katalog komplett durchzuqualifizieren, also bei allen Produkten umweltfreundliche bzw. sozial verträgliche Alternativen anzubieten und auszuzeichnen. Bei der Weiterentwicklung des Online-Shops hilft hausintern die AG „Nachhaltige Beschaffung“, bestehend aus Mitarbeiter*innen des Grün- und Umweltamts, der Lokalen Agenda 21 und des Einkaufs. Anregungen kommen ebenfalls aus der „Lenkungsgruppe FairTrade Stadt“, in der Verwaltung, Handel und Industrie, aber auch Kirchen, Vereine und Privatmenschen aktiv und vernetzt sind. Öko-soziale Kriterien müssen auch bei den 45 Lieferanten immer wieder neu thematisiert und eingefordert werden. „Aber wenn wir als Großabnehmer nachfragen, so hat das natürlich Gewicht, und ein Händler wird sich um Zertifizierung oder gelabelte Produkte bemühen.“ Um diese Fortentwicklung kümmert sich Hellenbrand mit der Lokale-Agenda-Beauftragten und zwei Kollegen aus dem Umweltamt. Das Mainzer Modell (vor über zehn Jahren gemeinsam mit der Stadt Wiesbaden entwickelt) war damals ein Vorreiter und scheint noch heute ein Erfolgsrezept zu sein. Es zeigt, dass Wirtschaftlichkeit und Effizienz mit öko-sozialer Verantwortung bestens zu kombinieren sind. Ca. 50 Städte machen es heute genau so oder ähnlich.

sys

   

Wie öko-sozial kauft die Stadt Bamberg ein?

An Mainz könnte sich auch die Stadt Bamberg ein Beispiel nehmen. Hier wurden erst 2015 die Vergaberichtlinien neu beschlossen. Doch ihre tatsächliche Umsetzung könnte durch eine zentrale Beschaffung wesentlich gestärkt werden. So beinhalten die neuen Vergaberichtlinien zwar öko-soziale Kriterien und Empfehlungen, aber erst die Praxis wird zeigen, ob die bislang sanft auf Papier geschriebenen Grundsätze nicht an der harten Realität und an alt eingefahrenen Gewohnheiten scheitern.

Dabei war es schon ein riesiger Akt, überhaupt Fragen zu Umweltstandards, sozialen Problemen (wie Kinderarbeit, weltweiten Arbeitsschutzbestimmungen, Gewerkschaftsfreiheit usw.) oder fairem Handel bei der Diskussion um die Vergaberichtlinien zu thematisieren. Die GAL stellte dazu 2010 einen Antrag, der über drei Jahre lang nicht behandelt wurde. Erst als die GAL-Stadträt*innen die Behandlung beim Verwaltungsgericht einklagten, kam die Stadtverwaltung einem Urteil zuvor und setzte 2014 das Thema erstmals auf die Tagesordnung.
Auch der Verein Change e.V. startete dann eine Petition für faire Beschaffung, so dass die neuen Vergaberichtlinien sich heute der Frage der Konsumverantwortung stellen. Im Rahmen eines zentralen städtischen Beschaffungswesen könnten diese öko-sozialen Kriterien noch deutlich besser verwirklicht werden.

sys