„Die Seniorinnen und Senioren von morgen brauchen unsere Kreativität schon heute“
Dass Menschen immer älter werden, dass Demenz zunimmt, dass künftig mehr Pflegebedarf bestehen wird – all das ist auch eine Herausforderung für die Kommune, für die Politik vor Ort. Doch was kann man eigentlich tun – hier in Bamberg? Darüber sprach die mit Wolfgang Budde, dem Vorsitzenden der A.R.G.E. (Arbeitsgemeinschaft der älteren Bürger Bambergs), der in dieser Funktion auch Mitglied im städtischen Seniorenbeirat ist.
Schon bei den Zahlen ist Budde nicht ganz einverstanden. Mit den genutzten statistischen Angaben errechnet das Konzept, das vom Senioren- und Generationenmanagement im Rathaus selbst erstellt wurde, wie viele pflegebedürftige alte Menschen es im Jahr 2030 wohl geben wird. So kommt es auf einen Mehrbedarf von 28 ambulanten Pflegekräften im Vergleich zu heute. „Wenn wir aber andere statistische Zahlen zugrunde legen, etwa die vom prognos-Institut, dann sehen wir einen Mehrbedarf von über 300“, widerspricht Budde. Er hält das Jahr 2030 als Stichjahr und Ende des Planungshorizonts ohnehin für ungeeignet: „Denn die geburtenstarken Jahrgänge kommen dann erst in ihre 70er Lebensjahre und werden erst nach 2030 einen großen Unterstützungsbedarf verursachen.“ Werden -Seniorenheime zu Siechenhäusern? Massive Auswirkungen vor Ort erwartet er auch von dem 2. Pflegestärkungsgesetz, das ab 2017 in Kraft tritt. Denn nach dem Prinzip „ambulant vor stationär“ werden dort die Sätze für Menschen in den Pflegestufen 1 und 2 so gekürzt, dass sich viele Menschen das Wohnen im Heim nicht mehr leisten können werden. „Dieses Prinzip ist zwar grundsätzlich richtig. Aber Menschen wollen die Wahl haben, wie sie ihr Alter gestalten“, so der Sozialexperte. Und dadurch werde der heute schon spürbare Fachkräftemangel im ambulanten Bereich zusätzlich verschärft. Stationär würden dann nur noch schwere und schwerste Pflegefälle aufgenommen. In der Branche, so Budde, befürchte man bereits, dass Seniorenheime zu „Siechenhäusern“ werden, mit allen Belastungsfolgen für das dort arbeitende Personal. Fachkräftemangel also auch in Bamberg. Was kann man konkret dagegen tun? Die Antwort des Seniorenpolitischen Gesamtkonzepts lautet: „Imagekampagne“. Dem kann der A.R.G.E.-Vorsitzende insoweit folgen, als die Pflegekräfte tatsächlich mehr gesellschaftliche Anerkennung verdient haben. Aber diese von der Stadt geplante Kampagne hat nach seiner Ansicht einen auffälligen Schönheitsfehler. „In ihren eigenen Altenheimen der Sozialstiftung hat die Stadt gerade erst eine Personal-gGmbH für die Angestellten gegründet, über die öffentliche Tarife unterlaufen werden und massiv beim Lohn für Pflegekräfte gespart wird. Das ist gerade das Gegenteil von Anerkennung. So etwas passt nicht zusammen!“ Konzept ohne Geld und Visionen Den Sparteufel sieht Wolfgang Budde überhaupt als Mitautor des Konzepts. „Alle vorgeschlagenen Maßnahmen können mit dem vorhandenen geringen Budget finanziert werden. Das Konzept verlangt null Mehrausgaben. Es bestätigt im Grunde all das, was es jetzt schon gibt, und gibt sich zufrieden.“ Die A.R.G.E. vermisst im Gesamtkonzept eine fachlich herausfordernde Vision, die den notwendigen Anstrengungen Richtung und fachliche Legitimation gibt. Das ist in anderen Städten durchaus zu finden. In Nürnberg etwa werden von der Stadt derzeit Seniorennetzwerke in den Stadtteilen aufgebaut, es gibt Quartiersbudgets. „Genau so etwas brauchen wir hier auch: Räume in den Stadtteilen, Personal für die Betreuung stadtteilbezogener Netzwerke, Nachbarschaftshilfe, Besuchsdienste, Selbsthilfegruppen usw.“ Vereinzelt gibt es stadtteilbezogene Initiativen zwar auch schon in Bamberg, aber laut Wolfgang Budde ist das ein „unübersichtlicher Fleckerlteppich“. Er stellt sich das flächendeckend und strukturiert vor. Und nicht nur das, auch die Verwaltung sollte man dahingehend umbauen: stadtteilbezogen und zielgruppenübergreifend – so heißt das im Fachjargon. Und es meint: Die im sozialen Bereich arbeitenden Ämter im Rathaus kümmern sich nicht hier um Alte, da um Jugendliche, hier um Alleinerziehende und da um Menschen mit Behinderung, sondern in jedem Stadtteil gleichermaßen um alles. Konkretes Beispiel: Oma Müller kommt nach einem einigermaßen gut überstandenen Schlaganfall aus der Klinik wieder zurück in ihre Wohnung. Ein Sozialarbeiter ist darüber informiert und setzt sich mit der Tochter in Verbindung. Er kennt sich in den Netzwerken des Stadtteils bestens aus und kann so zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort in Gang setzen. Ergänzend werden ambulante Profi-Hilfen durch Pflege, Essen auf Rädern usw. in die Spur gesetzt. Oma Müller wird nicht allein gelassen, die Hilfe aber verteilt sich auf viele Schultern. Auch das wäre eine Antwort auf den bevorstehenden Fachkräftemangel, denn gute wohnortnahe Strukturen gelten als Entlastung für eben diese Fachkräfte. Pflegeberatung ist nicht unabhängig Auch für eine unabhängig Pflegeberatung, wie sie eigentlich sogar gesetzlich vorgeschrieben ist, in Bamberg aber nicht existiert, würde Budde gerne Geld locker machen. Derzeit kann man sich zwar in Sachen Pflege durchaus beraten lassen, aber nur von den Trägern selbst, also eben nicht neutral, sondern interessengebunden. Im seniorenpolitischen Konzept wird das ebenfalls kritisch konstatiert. Mehr fördern könnte die Stadt auch experimentelle Wohnformen, meint Budde. Nach seiner Beobachtung gibt es immer mehr älter werdende Frauen, die sich ihre Wohnung nach dem Tod des Mannes und der verfügbaren Rente nicht mehr leisten können. „Seniorinnen-WGs sind da eine passende Antwort. Warum sollte es nicht auch in Bamberg eine Nachfrage geben? Die Stadt könnte Interessentinnen zusammenbringen.“ Budde versteht es deshalb nicht, dass die 6-Zimmer-Wohnungen der Stadtbau GmbH in der Pines-Housing-Area angeblich nicht vermietbar sind und nun verkleinert werden sollen. Und er empfiehlt für den nächsten Teilbericht des „Seniorenpolitischen Gesamtkonzepts“, der bald folgen soll, die Bürger und Bürgerinnen als ihre eigenen Alltagsexpert*innen ernster zu nehmen. Sie wurden für die Erstellung des ersten Teilberichts überhaupt nicht befragt. Guter Tipp, gerade für den 2. Teilbericht, dessen Thema lauten soll: „Beratung und Teilhabe“ sys Interessante Infos zum Thema auf der Homepage der |
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