Mehr "spirit" für Europa

Was passiert, wenn die Eliten einer Gesellschaft in ihrer politischen Verantwortung versagen, zeigt die deutsche Geschichte. Umso mehr haben auch unternehmerische Führungskräfte heute unter dem Druck des Populismus in Europa die Pflicht, Fehlentwicklungen zu benennen und Lösungen zu entwickeln.
Aus diesem Anlass traf die gaz den Bamberger Unternehmer und ehemaligen Präsidenten der IHK Oberfranken, Heribert Trunk, zum Gespräch.

 

: Herr Trunk, zur Europawahl wird viel ?ber Europa gesprochen, Unternehmen kommen in der Debatte meist nur am Rande vor. An welchen Stellen ist Europa in Ihrer pers?nlichen unternehmerischen T?tigkeit ein Gewinn?

Trunk: Wichtig für den Erfolg eines Unternehmens sind Mitarbeiter, die sich um Frieden und persönliche Freiheit keine Sorgen machen müssen. Das garantiert mir Europa! Als europäischer Unternehmer kann ich unabhängig von Grenzen und Zöllen einen großen europäischen Markt beackern ohne dabei stark behindert zu werden. Auch das garantiert mir Europa!

 

: In Ihrer Tätigkeit in der Industrie- und Handelskammer haben Sie für die Interessen der Unternehmer in Oberfranken gestritten. Sind Sie dabei häufig Europa begegnet?

Trunk: Mir war sehr schnell klar, dass für meine IHK-Tätigkeit und für die Wirtschaft in Oberfranken insbesondere die Orte München und Brüssel eine elementare Rolle spielen. Deutlich weniger als in Berlin, habe ich deshalb auch Kontakte und Austausch in Brüssel gesucht und war dort häufig vor Ort, öfter beispielsweise als in Berlin.

 

: Wenn die Vernetzung doch eigentlich so eng ist, was glauben Sie, warum sich immer mehr Menschen in vielen Ländern der EU dem Populismus zuwenden?

Trunk: Die „alten und ideenlosen“ Männer von gestern, wie beispielsweise Kommissionspräsident Juncker und der ehemalige Parlamentspräsident Schulz, haben es versäumt, Europa einen neuen „spirit“ einzuhauchen, also neue Ideen und Visionen zu entwickeln. Die Menschen in Europa sehen als Konsequenz nicht mehr die großartigen Chancen dieses Kontinents, sondern nur Regelwut und Bürokratie. Sich einigeln zu können, nur an sich zu denken und das Rad zurückdrehen zu wollen, das sind die Ideen, die die Populisten leiten. Der wichtige Gegenpol dazu, der die große Friedensidee und die Zukunft Europas für junge Menschen erklärt und dafür begeistert, wurde von den alten Herren und der nur „geschäftsmäßigen“ Kanzlerin überhaupt nicht vermittelt.

 

: Die Kritik an der aktuellen Politik, so sehr ich sie teile, ist natürlich nicht schwer. Aber sehen Sie auch eine Verantwortung von Unternehmen als gesellschaftliche Akteure in der Stärkung Europas?

Trunk: Ich denke, auch Unternehmen haben eine herausragende Verantwortung, den europäischen Gedanken zu leben. So müssten sie Teil einer abgestimmten Handels- und Entwicklungshilfepolitik sein. Diese darf sich nicht wie jetzt danach richten, Märkte mit allen Produkten zu überschwemmen, in der Hoffnung, dass es dafür Nachfrage gibt. Viel stärker müssen Unternehmen das produzieren und liefern, was diese Länder und ihre Menschen brauchen, um selbstbestimmt von ihrer Hände Arbeit leben zu können. Das stärkt Europa! Gleichermaßen müssen auch wir viel stärker laut vermitteln, dass der europäische Binnenmarkt riesige Chancen für uns und damit für die Sicherheit der Arbeitsplätze und gesellschaftlichen Wohlstand birgt.

 

: Zum Abschluss: Welchen Wunsch haben Sie persönlich an die Europäische Union?

Trunk: Gerade für junge Menschen wünsche ich mir, dass sie die großartige Idee hinter Europa erkennen, nämlich auf dem Kontinent in Frieden und Freiheit leben zu können. Das aktuelle Engagement vieler junger Menschen, beispielsweise bei „Pulse of Europe“, macht mir da viel Hoffnung. Bei der „Brexit“-Entscheidung 2016 haben beispielsweise 55 Prozent der 25–49-Jährigen für einen Verbleib in der EU gestimmt, bei den 18–24-Jährigen waren es sogar 80 Prozent. Das macht doch Hoffnung! Ein anderer Aspekt ist, dass rein numerisch die Bedeutung Europas in der Welt sinkt, umso entscheidender ist eine noch stärker miteinander abgestimmte Außen- und Sicherheitspolitik der europäischen Staaten.

 

Das Interview führte Jonas Glüsenkamp.