Naturidylle zwischen Weltgeschichte
und Wirtschaftsstandort
-Termin auf dem Konversionsgelände: MUNA und Schießplatz. Unter fachkundiger Begleitung eines Bundesförsters und einiger Naturschützer durchstreifen ich ein Gebiet, das für viele BambergerInnen (noch) so etwas wie ein weißer Fleck auf der Landkarte ist. Ich entdecke ein Stück Natur, das einerseits unberührt wirkt und andererseits Geschichte atmet – und nach dem sich bereits der lange Arm der gewerbeaffinen Stadtplanung ausstreckt. Die Stadt scheint weit weg zu sein – dabei ist der Berliner Ring mit brausender Rush Hour gleich um die Ecke. Der Schießplatz liegt warm, idyllisch und ruhig in der septemberlichen Abendsonne. Es riecht nach Thymian. Der Blick verfängt sich an den Schießwällen und den Kugelfangwänden, die das Areal einrahmen, und an einem Wachturm. Dazwischen eine unscheinbar wirkende Fläche – mit schon sich bräunlich färbender Vegetation und verblühtem Heidekraut – der Herbst schickt seine Vorboten. Schießplatz – Heimat für bedrohte Arten Doch so unscheinbar dieses Stückchen Natur auch wirken mag, es gehört zu den größten und wertvollsten Sandmagerrasenflächen in ganz Bayern, immerhin 6,5 Hektar. Als basenreiche Fläche fällt sie sogar unter einen speziellen Lebensraumtyp, der nach der europäischen Naturschutz-Richtlinie „FFH“ (= Flora Fauna Habitat) geschützt werden soll. Das erklärt mir Erich Spranger vom Bund Naturschutz. Er hat Gutachten mit erstellt und weiß um die Sandgrasnelken und Haferschmielen, die hier neben dem Zierlichen Schillergras wachsen – insgesamt elf Pflanzenarten der Roten Liste gedeihen ausgerechnet hier, wo früher scharf geschossen wurde und die Rinden der Bäume mit unzähligen Granatsplittern versehrt sind. Dazwischen die Blauflügelige Ödlandschrecke, die auch heute in der Abendsonne wild umher springt und sich mit etwas Geschick einfangen und vorzeigen lässt. Der Insektenreichtum hier ist kaum noch zählbar: Allein 150 Schmetterlingsarten verzeichneten Experten 2014 auf dem Schießplatz, darunter etwa die vom Aussterben bedrohte Weizeneule oder der Kurzschwänzige Bläuling, eine in der Roten Liste gefährdeter Tierarten in Bayern als verschollen bzw. schon als ausgestorben verzeichnete Art. An diesem Septemberabend versuchen wir noch die Larven des Dünensandlaufkäfers in einigen Sandlöchern aufzustöbern – leider aber ohne Erfolg, da kriecht nichts hervor. Was sonst noch so im Boden steckt, außer Insekten, wer weiß? Das Gelände wurde bislang nicht auf versickerte Schadstoffe von Munitionsresten untersucht. Zu erwarten ist Einiges. Und doch: Diese einzigartige Naturfläche wurde nur dadurch möglich, dass der Schießplatz regelmäßig genutzt und deshalb auch gemäht wurde. Denn der Sandboden muss frei gehalten werden, von Büschen und Bäumen, die – ohne Pflege – bald hier wachsen und der Vielfalt des Sandmagerrasens ein Ende setzen würden. Sukzession nennt man das in der Biologie. „Fünf Jahre ohne Mahd – und die Flächen sind verloren“, meint Martin Bücker vom Bund Naturschutz. Schießplätze sind auch schon mal anderswo in die Konversion geraten, in Tennenlohe zum Beispiel. Auf der dortigen ehemaligen Schießbahn gibt es jetzt ein Beweidungsprojekt mit Pferden und Ziegen. Das Areal gehört inzwischen zum Nationalen Naturerbe (NNE) und wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) verwaltet. Das hätte auch der Schießplatz an der Armeestraße verdient, so die lokalen Naturschützer. Der BN hat die Fläche im Oktober als Naturschutzgebiet und als FFH-Gebiet vorgeschlagen. MUNA – Waldidyll mit historischen Akzenten Die MUNA – auf der anderen Seite der Geisfelder Straße gelegen – ist von Wald geprägt. Durch dieses riesige ehemalige Munitionsgelände, entstanden ab 1917, fahren wir mit dem Jeep. Unzählige verschlungene Wege, Bahngleise und Zäune durchziehen das Gelände. 63 Bunker als Lager für Munition sind über das ganze Areal verteilt in Hügeln eingegraben, über und über mit Bäumen, Büschen und Gräsern bewachsen. Ebenso viele Baracken reihen sich aneinander, früher Herberge für militärisches Gerät. Dazwischen beeindruckende Eichenbestände, Totholz, unwegsame Waldstücke, tote Kiefern am Wegrand, wie man sie in einem öffentlich zugänglichen Wald nicht stehen lassen könnte. Der südliche Teil der MUNA wurde bereits 1993 vom Bundesforst übernommen und wird seither ausgesprochen naturnah bewirtschaftet, was auch mein Laienauge erkennen kann. Waldpflegerische Maßnahmen ohne Anspruch auf Umsatz und Gewinne. Man versucht, so wenig wie möglich unter die Oberfläche zu geraten, denn auch hier ist mit Altlasten zu rechnen. Die MUNA wurde im Zweiten Weltkrieg massiv von den Alliierten bombardiert, um die deutschen Munitionsvorräte zu treffen. Im Fachjargon „höchste Munitionskonzentration“ im Boden ist die Folge. Auch die Messerschmitt-Produktionsanlagen und das große Tanklager der amerikanischen Streitkräfte werden ihre Spuren hinterlassen haben. Eine Herde Mufflons (Wildschafe) sorgt auf der MUNA dafür, dass Brombeeren und Robinien nicht überhand nehmen, und nutzt die leeren Bunker als Nachtquartier. Martin Bücker hat hier ein außergewöhnlich hohes Vorkommen von Nachtfaltern nachgewiesen, darunter viele Rote-Liste-Arten, und sogar eine Art, die in Bayern schon als ausgestorben galt: die Adlerfarneule. Ein Teil des MUNA-Geländes (südlich des Sendelbachs) ist heute Wasserschutzgebiet, ein anderer Teil, gelegen um einen malerischen kleinen See, sogar Naturschutzgebiet. Für die gesamte MUNA wurde von der Regierung von Oberfranken der Schutz als FFH-Gebiet beantragt. Wertvoll und erhaltenswert erscheint mir alles – insbesondere in dieser unnachahmbaren Mischung aus Natur und Historie. Hier erzählt der Wald Weltgeschichte im kleinen Maßstab, eine durchaus schmerzhafte überdies. Gewerbegebiet contra Naturschutz Doch MUNA und Schießplatz sollen die längste Zeit befriedete Kriegsschauplätze gewesen sein, jedenfalls wenn es nach der Rathausspitze geht. Dort plant man Großes. 80 bis 90 Hektar Gewerbeflächen verheißt man dem Wirtschaftsstandort Bamberg. Von einem „zeitgemäßen und nachhaltigen Gewerbegebiet mit einer Zertifizierung nach ökologischen Standards“ spricht das aktuelle städtebauliche Entwicklungskonzept der Stadt. Doch was da in vielen Köpfen nonchalant überplant wird, ist ein gewachsenes und funktionierendes Ökosystem, das einige beachtliche Highlights aufzuweisen hat. Bevor man zu Tabula-Rasa-Handlungen neigt und Ödlandschrecke und Adlerfarneule unwiederbringlich ihre Heimat verlieren, muss gut abgewogen und behutsam geplant werden. Und Fragen müssen erlaubt sein: Wie viel Gewerbeflächen werden überhaupt realistisch gebraucht? Welche Art Gewerbe wäre angemessen für dieses Gebiet? Welche Naturräume müssen unantastbar bleiben und haben nachhaltigen Schutz verdient? Wie aufwändig, risiko- und kostenreich sind die Altlasten zu beseitigen? Sylvia Schaible
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