Wohnst du schon, oder beantragst du noch?

-Sonderseiten: Soziale Schieflage in Bamberg - III

Bürokratische Kettenreaktionen im Bamberger Rathaus

 

Während die einen Studierenden sich von wohlhabenden Eltern
ein schickes Apartment in der denkmalgeschützten ERBA spendieren
lassen, sind andere auf Hilfe durch den Staat angewiesen, um
überhaupt wohnen zu können.

Julia B.* gehört zu Letzteren. Sie ist Mitte 20, hat einen kleinen

Sohn, studiert an der Universität Bamberg und ist mittlerweile

fast schon Expertin, was bürokratische Kettenreaktionen betrifft.

Hier nur ein Beispiel:

Vor kurzem musste die Kleinfamilie aus ihrer WG ausziehen, weil der Eigentümer Eigenbedarf anmeldete. Nachdem Julia glücklich eine neue Bleibe gefunden hatte, ging sie umgehend mit dem neuen Mietvertrag zum Wohnungsamt der Stadt Bamberg, um die Änderung zu melden. Denn von dort erhält sie – mangels ausreichendem Einkommen - für sich und ihren Sohn Moritz* Wohngeld. Mit Ende der Miete wurde auch pünktlich das Wohngeld komplett eingestellt, denn ein neuer Antrag war fällig.
Der Wohngeldantrag für die neue Wohnung wurde aber nicht sofort, sondern erst nach vollzogenem Umzug bearbeitet – und die Bearbeitungsdauer beträgt regulär sechs Wochen. Natürlich nur, sofern die einzige Mitarbeiterin im Amt, die sich mit Wohngeldanträgen beschäftigt, nicht gerade im Urlaub oder krank ist – in diesen Fällen bleiben die Anträge freilich länger liegen. Während dieser Bearbeitungszeit bekam Julia B. also gar kein Wohngeld, obwohl sie ja für die neue Wohnung bereits Miete zu zahlen hatte – das ist so, leider nicht nur in Bamberg. Übrigens gilt das auch für Mietkautionen - meist muss man ja die Kaution für die neue Wohnung schon vor Einzug zahlen, bekommt die der alten Wohnung aber erst nach Auszug zurück. Noch so eine Doppelbelastung, die man erst mal bewältigen muss. Wie Wohngeldempfänger mit all dem zurecht kommen, sieht die Behörde vermutlich als lebensschulende Herausforderung für kreative Problemlösung an. Es interessiert sie jedenfalls nicht.

Obwohl, das stimmt nicht so ganz. Denn Julia B. hat es irgendwie hingekriegt, aber wie, das will sie der † gegenüber absolut nicht verraten. Man möge nur mal annehmen, sie hätte von Eltern, Opa oder Tante ein paar 100 Euro „Überbrückungsgeld“ zugeschoben bekommen. Um Himmels willen! Bloß nicht laut sagen! Wenn das im Wohnungsamt bekannt würde, wäre das Wohngeld ganz futsch. Denn so wäre ja bewiesen, dass Julia B. geheime Einkommensquellen hat und somit das Wohngeld gar nicht braucht. Da wäre der Wohngeldhahn aber flott zugedreht.

Nehmen wir also einfach an, Julia B. und ihr Sohn haben gefastet und sich das Geld vom Mund abgespart. Obwohl auch das eine absurde Annahme ist. Warum? Ja, weil die vorübergehende Einstellung des Wohngelds noch so ihre Folgen zeitigte. Julias Wohngeldbescheid begründet nämlich den Anspruch auf Kindergartenförderung für Moritz, womit seine Mutter die Kindergartenbeiträge finanziert. Dieses Geld erhalten nur Eltern, die schon andere staatliche Sozialleistungen beziehen und dies nachweisen können. Konnte Julia jetzt nicht mehr: Kein Wohngeld – keine Kindergartenförderung. Da im Rathaus Geyerswörth die Wege kurz sind, flitzte diese Info schnell von einem Amtszimmer ins nächste – und Julia musste nun auch noch den Kindergartenbeitrag irgendwie finanzieren. Und damit genauso das Mittagessen im Kindergarten. Denn auch dafür erhält man mitsamt der Kindergartenförderung einen Zuschuss, der jetzt weg fiel. Pustekuchen – also vielmehr ohne Kuchen.

Aber mittlerweile sind alle Anträge bearbeitet, Julia erhält neues Wohngeld, und Moritz kriegt im Kindergarten wieder sein Mittagessen. Doch oje – neues Ungemach droht schon am Horizont: Julia finanziert ihr Studium über einen Bankkredit, den sie später zurückzahlen muss. Ein Studierenden-Sparkassenkredit über sechs Semester ist mittlerweile „verstudiert“ – mit Turbo-Geschwindigkeit kommt man als junge Mutter mit Kind, Lernstress und gelegentlichen Ferienjobs halt nicht voran. Ein Anschlusskredit über die KfW-Bank ist aber Gottseidank schon genehmigt, für weitere vier Semester.

Jedoch: Julia muss nun erneut eine Änderung beim Wohnungsamt melden. Und wir ahnen schon, was kommt: Der Antrag wird neu berechnet, denn rein theoretisch könnte Julia mit dem neuen Kredit ja plötzlich ihre Ansprüche verlieren. Also von vorne – kein Wohngeld – keine Kindergartenförderung – kein Mittagessen. Drücken wir Julia und Moritz mal fest die Daumen, dass die Sachbearbeiterin im Wohnungsamt nicht gerade jetzt der Herbstschnupfen ereilt.

sys

* Namen geändert.

 

   

"Soziale Schieflage in Bamberg"

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