Im Gespräch mit Martin Jansen

„Die Politik nimmt in Kauf, dass durch ein Massenlager
Kriminalität gefördert wird.“

Was sagen statistische Zahlen über Kriminalität eigentlich aus, wenn man die Zusammenhänge genauer hinterfragt? Die gaz sprach darüber mit Martin Jansen vom Verein „Freund statt fremd e.V.“

 

: Sie sprechen bewusst von der AEO als „Massenlager“? Was wollen Sie damit ausdrücken?

Jansen: Der Begriff „Massenlager“ verdeutlicht den grundlegenden Charakter der Einrichtung: Menschen, die auf der Flucht sind, werden in großer Zahl in einer Einrichtung zusammengefasst, die „lager-ähnlichen“ Charakter hat. Diese Einschätzung bestätigt auch Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bezirk Bundespolizei, der sich ebenfalls offen gegen Seehofers Lagerpolitik ausspricht.

 

: Flüchtlinge aus der AEO tauchen in der Kriminalitätsstatistik erkennbar auf. Also: Wohnen in der AEO sehr viele Kriminelle oder entsteht durch die AEO Kriminalität?

Jansen: Flüchtlinge, die nach Bamberg kommen, sind ebenso wenig „kriminell“ wie die Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland auch. Sie wünschen sich nach schlimmen Kriegserfahrungen, Verfolgung und Flucht vor allem Ruhe und Sicherheit. Viele von ihnen, vor allem auch die Kinder, haben traumatische Erlebnisse hinter sich und sind damit besonders schutzbedürftig. Dieser notwendige Schutz wird ihnen in der AEO aber nicht gewährt. Im Gegenteil: Die AEO Bamberg zeigt hochproblematische strukturelle Merkmale auf, die besonders bei der Entstehung von Kriminalität eine Rolle spielen.

 

: Welche Rahmenbedingungen konkret sind verantwortlich? Nennen Sie bitte Beispiele!

Jansen: Als Beispiele sind an erster Stelle die Größe der Einrichtung und die Enge der Unterbringung zu nennen, dazu die fehlende Privatsphäre und fehlende Rückzugsmöglichkeiten. Hier entstehen schon im alltäglichen Zusammenleben außergewöhnliche Spannungen.

Dazu kommen dann individuelle Faktoren auf Seiten der Bewohner wie Traumatisierungen, usw. Auf der anderen Seite steht das permanente Risiko einer Abschiebung, Frustration und Angst vor der ungewissen Zukunft.

Das zentrale Problem der AEO ist für uns aber die Grundstimmung, die in der Einrichtung herrscht: Schon seit der Eröffnung im Jahr 2015 als „ARE II“ geht es vorrangig um Abschreckung, Abschottung und möglichst schnelle Abschiebungen. Diese Politik soll mit den geplanten AnkER-Zentren auf Bundesebene 1:1 fortgesetzt werden.

 

: Einen merkbar hohen Anteil haben Zuwandernde an Ladendiebstählen und Körperverletzungen? Können Sie auch das aus dem System AEO erklären?

Jansen: Was den zahlenmäßigen Anstieg der erfassten Eigentumsdelikte betrifft, sind die größten Probleme der Entzug des sozioökonomischen Existenzminimums und das Sachleistungsprinzip. Auch die GdP bestätigt, dass es hier aus kriminalpräventiver Sicht bei den geplanten AnkERzentren große Bedenken gibt. Gewaltdelikte zeigen sich dagegen aufgrund der bestehenden Spannungen oft direkt innerhalb der AEO zwischen unterschiedlichen Migrantengruppen, d. h. die Bevölkerung ist in vielen Fällen gar nicht direkt betroffen.

 

: Wird aus Ihrer Sicht die Kriminalitätsstatistik genutzt, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen? Und wenn ja, von wem?

Jansen: Zu beobachten ist eine flüchtlingsfeindliche Instrumentalisierung der vorliegenden Kriminalitätsstatistiken durch fremdenfeindliche Parteien oder eine populistische, undifferenzierte Berichterstattung in der Presse. Wer Menschen auf der Flucht aber unter Generalverdacht stellt, schürt Ängste in der Bevölkerung und provoziert ein Klima der Ablehnung und des Hasses! Dazu kommt, dass kriminalitätsfördernde Strukturen in der AEO von den politischen Entscheidungsträgern nicht nur nicht beachtet, sondern billigend in Kauf genommen werden. Flüchtlinge, aber auch die Bewohner*innen Bambergs, werden damit vor dem Hintergrund der bayerischen Landtagswahlen zum Spielball einer Politik von Rechtsaußen.

 

: Was fordern Sie stattdessen?

Jansen: Wir fordern von allen beteiligten Gruppen und Personen mehr Behutsamkeit in der Interpretation von Kriminalitätsstatistiken. Asylsuchende dürfen nicht zum Sündenbock für eine verfehlte Sozial- und Flüchtlingspolitik gemacht werden. Für Bamberg fordern wir die Schließung der AEO und den Übergang zu dezentralen Konzepten der Flüchtlingsaufnahme und -versorgung. Normalitätsprinzip statt Abschottung. Soziale Integration statt Massenunterkunft. Das Konversionsgelände in Bamberg bietet hier eine Vielzahl von Möglichkeiten.

Das Interview führte sys

   

Martin Jansen, von Beruf Krankenpfleger, engagiert sich seit 1991 (mit Unterbrechungen) in der Flüchtlingsarbeit. Bei "Freund statt fremd" ist er seit 2016 aktiv und hat über das Café Willkommen, das der Verein in der AEO betreibt, viel persönlichen Kontakt zu den dort lebenden Asylsuchenden.