Der Wüsten-Deal

Ein neuer Fall für Detektiv Grün
-Fortsetzungsroman von Meta Sutsch

 

Was bisher geschah:

Grün war noch nicht lange in der Stadt. Sein Detektivbüro hatte er in einem kleinen Haus in der Altstadt eröffnet. Zwei Wochen lang war die Auftragslage, nun ja, überschaubar. Dann standen Ulla Eule und Piet Quak vor der Tür, beide Stadtratsmitglieder. Besorgt und mit verhaltener Stimme schilderten sie ihm ihre Beobachtungen: Sie hatten in letzter Zeit immer wieder Markierungen an den Mauern der wichtigsten Denkmäler der Stadt entdeckt. Nachts waren sie gänzlich rot gewandeten Männern begegnet, die durchs Weltkulturerbe huschten. Und verdächtig erschien ihnen auch, dass der Flugplatz am Rande der Stadt neuerdings massiv ausgebaut wurde. Der Detektiv sollte nun die Zusammenhänge herausfinden. Grün nahm die beiden nicht sonderlich ernst, aber, weil er nichts Besseres zu tun hatte, den Auftrag trotzdem an – ein Vorschuss konnte nie schaden. Danach vergaß er das Sammelsurium aus Ungereimtheiten erst einmal.

 

Mitternacht. Glockenläuten. Grün schreckte an seinem Schreibtisch aus dem Schlaf hoch. Diese Altstadt mit ihren gefühlt fünfzig Kirchen und doppelt so vielen Glocken raubte ihm jegliche Ruhe, zumal um 12 Uhr nachts, wenn das Gebimmel schier nicht mehr enden wollte. Er rieb sich die Augen, stand auf und trat ans Fenster. Unten in der kleinen Gasse war kaum Licht zu sehen, alles menschenleer. Grün gähnte und beschloss ins Bett zu gehen. Da nahm er eine Bewegung wahr – gleich beim Hauseingang gegenüber. Ein Mann machte sich am Gemäuer zu schaffen, in gebeugter Haltung, er hielt etwas in der Hand, das nicht zu erkennen war. Plötzlich drehte sich der Mann um, sah die Gasse auf und ab und lief schnell weg, Richtung Dom. Als er in die Nähe der Straßenlaterne am Ende der Gasse kam, konnte Grün erkennen, dass er ganz und gar rot gekleidet war, sogar seine Hände und Haare wirkten knallrot.

Grün rieb sich nochmals die Augen. Hatten nicht Eule und Quak, seine beiden spinnerten Auftraggeber, etwas von roten Männern erzählt? Der Detektiv war mit einem Mal hellwach. Er streifte seinen Trenchcoat über, griff zur Taschenlampe und trat auf die Gasse. Niemand zu sehen. Er ging zu dem gegenüberliegenden Hauseinang, ein schönes altes Barockgebäude, vermutlich Mitte 17. Jahrhundert, mit viel Stuck, hohen Räumen und herrschaftlicher Ausstrahlung. Als er das Tor ableuchtete, fiel ihm eine rote Linie am Sockel auf. Er berührte sie mit dem Finger, es fühlte sich feucht an. Als er seine Fingerkuppe ansah, war sie rot. Nachdenklich ging Grün zurück zu seinem Haus. Eine rote Markierung an einem offensichtlich historischen Gebäude, das sicher Denkmalwert hatte, angebracht mitten in der Nacht von einem komplett roten Mann, dessen Menschsein Grün sofort in Zweifel zog.

Das war sonderbar, sehr sonderbar. Grün hatte kein gutes Bauchgefühl. Letzteres kam möglicherweise auch daher, dass sein Magen knurrte. Grün schmierte sich ein Brot dick voll mit diesem Käsemischmasch, der als Spezialität der Region galt, Rupfkäse oder so. Wenn er kaute, konnte er am besten kombinieren. Aber noch hatte er dazu zu wenige Puzzle-Teilchen. Er beschloss, der Sache morgen weiter nachzugehen.

Am nächsten Morgen holte er sich die Zeitung seiner Vermieterin vom Vortag, die für ihn auf der Treppe bereit lag, und schlug beim Frühstück die Lokalseiten auf. Der Aufmacher berichtete von den kostspieligen Ausbaumaßnahmen an dem bisher kleinen Flugplatz an der Langenau. Riesige Flugfelder waren zu sehen, ein hoher Tower und eine Halle bemerkenswerten Ausmaßes. Vor einem gewichtigen Transportflugzeug posierend stachen zwei Männer beherzt je einen Spaten in den sandigen Boden und grinsten siegessicher in die Fotolinse. Eröffnung des vierten Bauabschnitts. Laut Bildunterschrift waren es der städtische Finanzreferent sowie ein gewisser Gabriel Setschko.

Grün überlegte. Ja, die beiden hatten Eule und Quak in ihren wirren Erzählungen ebenfalls erwähnt. Der Kämmerer trug den ulkigen Spitznamen Lucky Berti und war nach Aussage der beiden um ein Vielfaches gefährlicher als dieser vermuten ließ. Er galt als der heimliche Chef in der Stadt, der im Alleingang regierte. Nach Belieben plünderte er Opferstöcke von Kirchen, ließ Kunsthallen sperren oder Bäume fällen – und das waren nur die bekannt gewordenen Amokläufe von Lucky Berti. In Gabriel Setschko hatte er einen kongenialen Kompagnon gefunden: Der Boss einer großen Firma hatte laut Eule und Quak bereits die ganze Bamberger Basketballmannschaft und Drei Viertel des Stadtrats aufgekauft. Der Oberbürgermeister sei inzwischen im Rathauskeller entsorgt worden, wo er – Opfer einer so genannten brosalen Sucht – mit elektrischen Fensterhebern spiele.

Gedankenversunken blätterte Grün in dem Heimatblättchen weiter und versuchte Lucky Berti und Setschko mit dem roten Mann und den roten Mauerstrichen in Verbindung zu bringen, da stutzte er. Eine Anzeige der VHS, ungewöhnlich groß, warb für kostenlose Arabisch-Sprachkurse. Außerdem wurde auf eine Vortragsreihe: „Die Schönheit der Wüste Katars: Wind – Sand –Warane“ hingewiesen. Und ein Workshop „Im Namen des Emirs“ sollte die Vorzüge der absoluten Monarchie erfahrbar machen.

Grün kam diese Stadt immer durchgeknallter vor. Was sollte nun wieder dieser Arabische Wüsten-Emir-Tick? Er schob die Zeitung zur Seite, trank von seinem Kaffee, biss in sein Hörnla – eine weitere kulinarische Entdeckung in dieser Stadt – und beschloss, einen Gang in die City zu unternehmen. Mal sehen, welche Erkenntnisse sich ihm da in den Weg stellten.

Er trottete seine Gasse entlang, über einen kleinen Platz mit seltsam geformter Skulptur in der Mitte, vorbei an einem Metzger mit nach außen gerichtetem Gebläse – die ganze Straße roch nach Bratwürsten –, und über eine Brücke, die als ein Wahrzeichen der Stadt galt. Sein Ziel war der Hübschchenplatz, wo es ein kleines italienisches Stehcafe gab mit der dickflüssigsten Trinkschokolade, die er je gekaut hatte. Während er das puddingähnliche Getränk bestellte, sah er aus den Augenwinkeln einen Herrn im schicken Mantel die Financial Times lesen. Der Mann hatte einen aufmerksamen Gesichtsausdruck, der sich langsam in ein zufriedenes Lächeln und dann in ein fieses, geradezu triumphales Grinsen verwandelte. Als er die Zeitung beiseite legte und das Café verließ, konnte Grün ein glucksendes Lachen hören, wie er es aus den Märchenfilmen seiner Kindheit von der bösen alten Hexe kannte. Ihm wurde nachgerade mulmig zu Mute.

Der Detektiv zahlte, nahm seine Tasse und stellte sich an den Tisch des verschwundenen Herrn. Irgendwo hatte er das Gesicht doch schon gesehen, dachte Grün. Er schlug ein paar Seiten der liegengebliebenen Financial Times auf und versuchte die Stelle zu finden, die dem Herrn eine solche Genugtuung verschafft hatte. Dabei löffelte er seine Schokolade. Auf Seite 44 berichtete ein großer Artikel über das Emirat Katar, das über das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt verfügte, ein Land voll unfruchtbarer Wüsten, aber dennoch unvorstellbaren Reichtums, regiert vom Emir, einem absoluten Monarchen. Der Text beleuchtete ausführlich die neuesten Investment-Aktivitätes Katars. Am Ende wurden Gerüchte erwähnt, wonach der Emir Beziehungen zu einer westeuropäische Provinzstadt geknüpft habe, die er am 16. März 2014 komplett aufkaufen und dann in die Wüstenregion seines Landes translozieren wolle.

Grün ließ die Zeitung sinken, der Löffel fiel ihm aus der Hand, er verschluckte sich und hustete Puddingtröpfchen quer über den Tisch. Die heimlichen Markierungen. Die kostenlosen Arabisch-Kurse. Der Flugplatzausbau. Alles passte zusammen. Jetzt fiel ihm auch wie Schuppen von den Augen, woher er den schicken Herren kannte: Es war Lucky Berti, der Stadtkämmerer, der mit dem Spaten am Flugplatz auf dem Foto in der Lokalzeitung.

Grün konnte es kaum glauben. Da war ein unfassbarer Deal am Laufen. Lucky Berti war dabei, die ganze Stadt an das Emirat Katar zu verkaufen. Und Gabriel Setschko war gewissermaßen sein Zwischenhändler. Rote Striche markierten die wertvollen Gebäude, die abgerissen, mit großen Transportflugzeugen in die Wüste verbracht und dort wieder aufgebaut werden sollten. Und die Bürger sollten mit und deswegen schon mal Arabisch lernen. Sofort griff Grün nach seinem Handy – er musste umgehend Eule und Quak verständigen.


Fortsetzung folgt.

Können Grün, Eule und Quak den Verkauf Bambergs in die arabische Wüste verhindern? Halten sie den Machenschaften von Lucky Berti und Setschko stand? Wer sind die geheimnissvollen roten Männer? Und kann der Oberbürgermeister von seiner brosalen Sucht und aus dem Rathauskeller befreit werden?

   

Foto: Erich Weiß